Zurück 13 Nov 2023 · 11 min lesezeit
von Luisa Lehmann

Warum fühle ich mich so leer?

Es kommen oft verschiedene stressreiche Erfahrungen oder Krisen als Auslöser infrage, zum Beispiel:

  • das Ende einer Beziehung (Verlust von Partnerschaft)
  • Tod eines geliebten Menschen
  • Wechsel oder Verlust des Arbeitsplatzes (neues Job-Umfeld etc.)
  • gesellschaftlicher oder politischer Wandel und Ungewissheit
  • psychische Erkrankungen wie z.B. Depression
  • existenzielle Not
  • Krieg, Verfolgung, Diskriminierung etc.
  • wenig soziale Kontakte
  • körperliches Ungleichgewicht, z.B. Schwankungen im Hormonspiegel
Obwohl innere Leere keine eigenständige psychische Erkrankung ist, stellt sie ein Symptom von anderen psychischen Erkrankungen dar. 

Ich fühle mich leer: Was ist gemeint?

Innere Leere fühlt man oft in Situationen, die einen emotional überfordern und erschöpfen. Wenn wir viel fühlen müssten, fühlen wir (als Ausweg) nichts, sind wie abgeschnitten von uns selbst. Gefühle innerer Leere werden ganz verschieden beschrieben. Manche verbinden mit dem Gefühl:

  • das Gegenteil von Erfüllung und damit persönliche Unerfülltheit und
  • gefühlte Sinnlosigkeit des eigenen Lebens
  • eine Sehnsucht, der eigenen Einsamkeit zu entfliehen,
  • sich verbunden statt leer und einsam zu fühlen

Innere Leere: Fragebogen aus der Forschung

Um das Ausmaß des Gefühls innerer Leere besser verstehen zu können, haben Forscher*innen der California State University San Marcos einen Fragebogen entworfen (Subjective Emptiness Scale (SES)). Bei verschiedenen Gefühlsbeschreibungen sollen die Befragten angeben, wie sehr sie auf sie zutreffen. An den Antworten kann man dann erkennen, wie groß die Gefühle innerer Leere sind und was das “Ich fühle mich leer” der Befragten genau bedeutet. 

Der Fragebogen beinhaltet, inwiefern sich das Gefühl der Leere anfühlt wie…  
  • allein zu sein in der Welt
  • unerfüllt zu sein, egal was man macht
  • gezwungen zu sein, zu existieren  
  • abgetrennt von der Welt zu sein 
  • in seinem eigenen Leben nicht anwesend zu sein 
  • Taubheit oder Dumpfheit überall. 

Die Forscher*innen D. Agostino und R. Pepi fanden heraus, dass Befragte mit Diagnosen psychischer Erkrankungen meist höhere Werte auf der Subjective Emptiness Scale erreichen als Befragte ohne eine Diagnose. Das heißt, dass Menschen mit psychischen Belastungen meist öfter angeben: “Ich fühle mich leer und gefühllos”. 

Innere Leere: Symptom einer Depression? 

„Hallo, ich bin niemand⁠. Ich bin niemand und ich fühl nichts mehr“, singt die Sängerin Elen in ihrem Song “Hallo”. Damit besingt sie das “sich leer fühlen”, was viele Betroffene von Depressionen verspüren. 

Entgegen der Vorstellung einiger Menschen sind Depressionen nicht (nur) von einer großen Traurigkeit geprägt, sondern auch sehr oft von einer großen Leere, einer großen Unfähigkeit, überhaupt etwas zu empfinden. Weder Freude noch Trauer.

Symptome einer Depression

Die Symptome einer Depression können sehr unterschiedlich sein, auch in der Stärke ihrer Ausprägung. Fühlst du dich öfter antriebslos und ohne jegliches Interesse für Dinge, die dir eigentlich Freude bereiten? Fühlst du dich ständig traurig, gedämpft oder fragst du dich: “Warum fühle ich mich so leer?” ? All das könnten Hinweise auf eine Depression sein. 
NEU: kostenloses eBook bei Depression von Selfapy! Es enthält Übungen aus der Psychotherapie, die du dir einfach herunterladen kannst!

Sich und seine Gefühle zu spüren ist der Schlüssel zu einem gesunden Selbstgefühl. Spürt man sich selbst nicht mehr, sondern nur noch eine große Leere, wird es irgendwann schwer den Alltag zu stemmen.  

Chronische innere Leere bei Borderline

Nicht nur Betroffene einer Depression verfolgt das Gefühl des Sich- leer- Fühlens. Auch andere psychische Erkrankungen werden von dem Gefühl der Leere begleitet. Noch stärker als mit einer Depression verbinden Psycholog*innen das Gefühl innerer Leere mit der Borderline Persönlichkeitsstörung.

Charakteristisch für Betroffene einer Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs ist eine emotionale Instabilität, die es den Betroffenen schwer macht, ihre Impulse zu kontrollieren. Charakteristisch ist ein gestörtes Selbstbild. Das heißt, es fällt Betroffenen schwer, sich selbst zu fassen oder zu spüren.

Betroffene von Borderline können zum Beispiel schwer sagen und spüren, was ihre Person ausmacht, welche Werte und Ziele sie verfolgen. Das beschreibt man auch als innere Leere.

Entlang am Grad der Extreme: Borderline

Weil sie sich leer fühlen, suchen Borderline-Patient*innen oft nach sehr intensiven Erlebnissen und Beziehungen. Dieses Verhalten stellt oft den Versuch dar, die innere Leere zu füllen und sich selbst zu spüren durch extreme Erfahrungen. Diese Formen von Beziehungen sind allerdings oft kurzlebig und unbeständig

Die extremen Erfahrungen, die Borderline-Betroffene eingehen, sind oft durch selbstzerstörerisches und verletzendes Verhalten geprägt. Sei es Drogenkonsum, andere Adrenalin-Kicks oder sich zu schneiden: All das sind Versuche, sich selbst zu spüren und die innerliche Leere zu füllen. 

Die richtige Therapie finden

Auch wenn die Verhaltenstherapie, auf der die Selfapy-Kurse basieren andere Grundlagen und Erklärungsmodelle hat als psychodynamische Ansätze, glauben wir, dass es für ein umfassendes Verständnis verschiedener Störungsbilder helfen kann, sich mit verschiedenen Erklärungsmodellen und Therapie-Ansätzen auseinanderzusetzen. 

Hier eine Podcast-Empfehlung: Das Rätsel des Unbewussten ist ein sehr gut aufgearbeiteter psychodynamischer Podcast, der übedasr die verschiedensten psychischen Störungsbilder aufklärt. In Folge 31 geht es um die Borderline-Störung. 


Doch tatsächlich ist es so. Denken wir zum Beispiel an ein alltägliches Ereignis, wie nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause zu kommen. Oft fühlen wir uns dann leer, weil wir erschöpft sind. Wir fühlen uns mental, kognitiv und oft auch körperlich stark beansprucht und möchten einmal Nichts fühlen.

Der Extremfall von innerer Leere nach Belastungen äußert sich oft in einem breiten Spektrum aus leichten bis starken Formen der Dissoziation. Auch wenn wir traumatische Dinge erleben, wie den Verlust eines geliebten Menschen oder starkes Heimweh, kann eine Überforderung mit den eigenen Emotionen zu innerer Leere führen. Das ist normal, doch diese Ereignisse allein führen selten zu einem anhaltenden Gefühl innerer Leere, wie es bei psychischen Störungsbildern der Fall ist.

Ursachen für innere Leere bei Depressionen und Borderline

Auch bei Gefühlen der inneren Leere als Symptom von psychischen Störungsbildern spielen emotionale Belastungen eine Rolle. Man fühlt sich leer, weil man sich selbst nicht spürt. Das ist ein leichter Umkehrschluss, der gut das Problem erkennen lässt, was dem “Sich leer Fühlen” zugrunde liegt: Ein mangelndes Selbst(wert)gefühl.

Um sich selbst zu spüren, also ein Selbstgefühl zu haben, ist es wichtig, dass man in seinem Heranwachsen ein sogenanntes validierendes Umfeld hat. Sein inneres Leben erkennt ein Kind nur dadurch, dass es sich seinen Bezugspersonen mitteilt und diese es anerkennen, seine Emotionen und andere Empfindungen und Äußerungen spiegeln, sie als “wertvoll” anerkennen, also es validieren

Wenn ein Kind ein “invalidierendes Umfeld” hat, also Bezugspersonen seine (emotionalen) Äußerungen nicht ernst nehmen, fällt es ihm schwer, seine emotionale Welt und damit sich selbst kennen und regulieren zu lernen. Ohne die Fähigkeit, seine Emotionen regulieren zu können, wachsen sie dem Erwachsenen wortwörtlich über den Kopf und er verspürt ein Gefühl innerer Leere. 

Bei Betroffenen von Depressionen kann es sein, dass sie ihre emotionale Welt nie ausreichend kennenlernen durften und es ihnen deswegen im Hier-und-Jetzt schwer fällt, überhaupt empfinden zu können. 

Ein Beitrag des Deutschlandfunk berichtet, dass bei Betroffenen der Borderline Persönlichkeitsstörung (und bei Betroffenen anderer psychischer Erkrankungen) in Untersuchungen herausgefunden werden konnte, dass die gerade beschriebenen invalidierenden Erfahrungen besonders schwerwiegend waren. Zum Beispiel wurde in der Kindheit von Betroffenen das Sprechen über Missbrauchserfahrungen nicht ernst genommen oder andere Schilderungen des Kindes nicht für vollwertig angenommen. Wenn Kinder sich nicht gesehen und verstanden fühlen und ganz elementare Bedürfnisse nach Liebe und Anerkennung nicht erfüllt werden, ist es schwer, jemals ein Selbstwertgefühl zu bilden.  

Gesunde und ungesunde Methoden bei innerer Leere

Fest steht, dass innere Leere ein unangenehmes Gefühl ist, von dem die meisten wollen, dass es schnell wieder verschwindet. Um die innere Leere zu füllen gibt es einige Möglichkeiten. Einige davon sind gesünder als andere. 

Meist sind es leider die schnellen Methoden, die die Leere nicht dauerhaft füllen und sie schnell wiederkommen lassen. 

“Gier ist immer das Ergebnis einer inneren Leere “ -Erich Fromm

Ungesundes Verhalten, um die innere Leere zu füllen

Das Gefühl innerer Leere ist sehr verwandt mit dem Gefühl eines leeren Bauches. Wenn wir Hunger haben, greifen wir vielleicht nach dem Ersten, was uns in die Hände kommt und appetitlich aussieht. Wenn wir unterzuckert sind, ist das vielleicht Schokolade. Und wir alle wissen, dass Schokolade nur sehr kurzfristig glücklich macht. Eine richtige Mahlzeit mit mehreren, komplexeren Nährstoffen würde uns in diesem Fall nicht nur satt machen, sondern nähren und langanhaltend mit Energie versorgen.

Manchmal verspüren wir innere Leere und ganz ohne jegliche Anzeichen von Hunger kommen wir auf die Idee, die innere Leere durch Essen zu füllen. Dabei kommt die Leere aus der Richtung unserer Emotionen und Belastung statt Hunger. Essen als Versuch, die innere Leere zu füllen, ist definitiv eine ungesunde Methode. Selbst wenn Essen kurzfristig zufrieden macht, wird es nicht langfristig erfüllend und heilend wirken - wie ein Pflaster, das nicht richtig klebt. 

Isst du häufig zu viel um deine innere Leere zu füllen und fühlst dich danach schlecht und schuldig? Finde mit dem Selbsttest von Selfapy heraus, ob du an einer Essstörung leidest. Beachte aber, dass der Test dir lediglich eine erste Einschätzung bietet und keine fachliche Diagnose ersetzt.

Die schnellen Mittel, ein inneres Loch zu füllen, sind immer die ungesunden Mittel, da wir schnell mehr davon wollen. Viele Menschen greifen zu Drogen, da sie besonders schnell und effektiv die Gefühle innerer Leere beseitigen. Aber auch andere Aktivitäten, die schnell Glücksgefühle herbeiführen, wie Shopping oder intensive sexuelle Erfahrungen oder Beziehungen können kurzfristig Erfüllung verschaffen. Deswegen neigen viele Borderline-Patient*innen zu diesen Verhaltensweisen.

All diese Methoden aktivieren das Belohnungszentrum in unserem Gehirn und schütten Dopamin aus - ein Glückshormon. Da das nicht langanhaltend ist, wollen wir schnell mehr konsumieren und werden abhängig. Von Drogen, Alkohol, Shoppen, Glücksspiel oder intensiven Beziehungen.

Tipps bei innerer Leere

Gute Nachricht: Innere Leere kann man auch sehr gesund und langanhaltend füllen! Zwar nicht so schnell wie durch Schokolade, dafür aber stabiler und nahrhafter. 

Sich selbst wieder zu spüren kann man durch unterschiedliche Methoden erlernen. Je nach Ausmaß und Zeitpunkt des “Ich fühle mich leer und gefühllos” kann eine andere Strategie angemessen sein. 

  • Achtsamkeitsverfahren:

Alle Achtsamkeitsverfahren haben gemeinsam, dass sie das Ziel haben, einen bewussten und achtsamen Umgang zu etablieren. Mit dem Innen wie dem Außen. Das bedeutet meist, im Hier-und-Jetzt anzukommen. Achtsam gegenüber sich selbst zu sein, bedeutet, sich wahrnehmen zu lernen. Sich bewusst darüber zu werden, welche Emotionen anwesend sind, selbst wenn keine da sind, und diesem Zustand mit Freundlichkeit zu begegnen.

  • Meditation

Meditation ist ein besonders heilsames Achtsamkeitsverfahren. Im Sitzen in der Stille trainiert man, seinen Geist nicht nur bewusst wahrzunehmen, sondern immer wieder zu innerer Ruhe und Stille zurück zu finden - auch nach aufwühlenden Gedanken und Emotionen. In dieser Stille fängt man an, sich zu spüren, wie man ist und sich für alles was man ist anzuerkennen. Also ein Selbstwertgefühl aufzubauen, wie es bei dem Gefühl innerer Leere zu sehr fehlt.

Es bedarf einiger Übung, doch Meditation kann ein sehr effektives Mittel sein, die eigenen Emotionen regulieren zu können. unter anderem haben Forscher*innen der UCLA herausgefunden, dass eine regelmäßige Meditationspraxis dabei helfen kann, die Amygdala (unser Angstzentrum) zu beruhigen, emotionale Stabilität aufzubauen und so eine unterstützende Methode bei Depressionen und Angst- und Panikstörungen darstellen kann. 

Das UCLA Mindful Awareness Research Center lädt geführte Meditationen auf seinen YouTube Channel hoch.

Um mit der Meditation anzufangen, eignen sich Meditationsapps wie Headspace besonders gut. Das Headspace Radio auf Spotify liefert außerdem sehr empfehlenswerte Achtsamkeits-fokussierte Beiträge.

  • Journaling/ Tagebuch schreiben

Auch Tagebuchschreiben oder “Journaling” kann als achtsamkeitsbasiertes Verfahren verstanden werden. Wenn wir unseren Gedanken schriftlich freien Lauf lassen, meditieren wir auf Papier. Um uns selbst zu spüren und die Gefühle innerer Leere loszuwerden, können wir uns täglich fragen:

  1. Was lief heute gut, und was weniger gut? 
  2. Und was habe ich dabei gefühlt? 
  3. Wofür bin ich heute dankbar? 
  4. Worauf bin ich stolz?

Diese Fragen zu beantworten können dabei helfen, Selbstwirksamkeit zu erfahren und das innere Loch durch Selbsterfahrung zu füllen - eine der nachhaltigsten Methoden zu Erfüllung.

  • Psychotherapie

Treten die Gefühle innerer Leere zusammen mit anderen Symptomen psychischer Erkrankungen auf, ist es ratsam, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Vor allem wenn du dich in den Schilderungen zur Entstehung der Gefühle durch ein invalidierendes Umfeld in der Kindheit wiedergefunden hast, kann es sehr helfen, Psychotherapeut*innen zu Rate zu ziehen.

Auch Selfapy bietet mit psychologischen Online-Therapieprogrammen Unterstützung bei Depressionen, Generalisierter Angststörung, Bulimie, Binge-Eating, chronischem Schmerz und Panikstörung.



Ein Artikel von

Luisa Lehmann Redakteurin · B.Sc. Psychologie

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Quellenangaben

  1. Ehrenberg, A. (2015). Das erschöpfte Selbst: Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Campus Verlag.
  2. Price, A. L., Mahler, H. & Hopwood, C. (2019). Subjective emptiness: a clinically significant trans-diagnostic psychopathology construct.
  3. Stefan Lorenz (2009) The Mindful Brain: Reflection and Attunement in the Cultivation of Well-Being, Journal of Mental Health, 18:2, 178-179
  4. https://www.deutschlandfunk.de/ruhe-nach-dem-daueralarm-wie-sich-borderline-heilen-laesst-100.html
  5. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666915321001529#:~:text=Subjective%20emptiness%20scale%20(SES)%20assesses,of%20the%20feeling%20of%20emptiness.&text=Psychometric%20properties%20of%20the%20Italian,SES%2DI)%20were%20examined.&text=SES%2DI%20is%20a%20valid,clinical%20and%20non%2Dclinical%20populations.&text=SES%2DI%20scores%20were%20higher,than%20in%20non%2Dclinical%20population.

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