Zurück 29 Aug 2022 · 9 min lesezeit
von Hanna Eggebrecht

Die Psychosomatik ist eine Fachrichtung innerhalb der klinischen Psychologie, die sich mit körperlich- (“soma”) psychischen (“seelisch”) Erkrankungen beschäftigt. Bei psychosomatischen Beschwerden kann meistens keine körperliche Ursache gefunden werden, sodass man von einer psychischen Ursache ausgeht.

Psychosomatik: Was bedeutet das?

Was bedeutet “psychosomatisch”?

In der Definition von Psychosomatik wird die Wechselwirkung von psychischen (geistig/ seelisch), somatischen (soma: Körper) und sozialen Prozessen bzw. Erkrankungen beschrieben. 

„Psychosomatik bedeutet, dass Körper und Seele zwei untrennbar miteinander verbundene Aspekte des Menschen sind, [...] Ein einheitliches Modell für die Wechselwirkungen zwischen Körper, psychischen Prozessen und Umwelt existiert nicht. Meist werden Teilaspekte beschrieben, die von unterschiedlichen Theorien aufgenommen werden.” (Fritzsche & Wirsching, 2006).

Innerhalb der Medizin steht Psychosomatik für eine ganzheitliche Betrachtung von Körper und Geist, psychosomatische Krankheiten haben demnach verschiedene Ursachen. In einem ähnlichen Kontext wie psychosomatische Störungen werden auch funktionelle Syndrome und somatoforme Störungen genannt.

Psychosomatik, Psychotherapie, Psychologie: Was ist was?

Die Psychosomatik ist ein Bereich innerhalb der klinischen Psychologie, der hauptsächlich in Krankenhäusern (stationär) oder auch in Tageskliniken und Ambulanzen vorkommt. Bekannt ist deshalb zum Beispiel eine “psychosomatische Station”. Die Fachärzt*innen in der Psychosomatik sind unter anderem für die psychotherapeutische Behandlung zuständig,  deren Ursache psychosozial und psychosomatisch sein kann.

Auf einer Station für Psychosomatik und Psychiatrie arbeiten in der Regel Fachärzt*innen für psychosomatische Medizin und Psychiatrie sowie Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen. Mehr zum Unterschied zwischen Psychiater*in, Psycholog*in und Psychotherapeut*in liest du hier.

Psychosomatische Krankheitsbilder

Psychosomatik bzw. eine psychosomatische Dynamik kommt nicht nur bei eigenständig- organischen Krankheitsbildern als Ursache infrage. Die Psychosomatik ist auch Begleiter vieler anderer Erkrankungen, die augenscheinlich nicht viel mit der “Psyche” zu tun haben. So zum Beispiel:

  • bei Krebserkrankungen 
  • bei Herz- Kreislauf- Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt oder auch Schlaganfall)
  • Erkrankungen des Bewegungsapparats (vgl. chronischer Schmerz, Fibromyalgie)
  • Gynäkologische und urologische Erkrankungen (z.B. Vaginismus, Ejaculatio- praecox)
  • bei einem Kinderwunsch.

Die Psyche ist unsere tägliche Begleiterin, deshalb spielt sie verständlicherweise auch bei vermeintlich “nur” körperlichen Symptomen eine große Rolle. Vor allem bei chronischem Schmerz, Rückenschmerzen oder auch Fibromyalgie ist die Dynamik zwischen Körper und Geist, also die psychosomatische Wechselwirkung, Gegenstand der Forschung und hilft uns, die Erkrankungen besser zu verstehen und behandeln zu können.

Zu den Diagnosen von funktionellen Körperbeschwerden (psychosomatische Störungen) gehören (nur Auszug!):

  1. Somatoforme Störung (Bodily distress disorder)
  • Somatisierungsstörung
  • Somatoforme autonome Funktionsstörung
  • Neurasthenie
  • Anhaltende Schmerzstörung (z.B. chronischer Schmerz)
  • Hypochondrische Störung
  • Konversionsstörungen (Dissoziative Störung von Bewegung/ Empfindung)
  • Artifizielle Störung
  1. Funktionelles Syndrom eines bestimmten Organsystems

Psychosomatische Krankheiten: Liste

Beispiele für psychosomatische Erkrankungen sind sehr vielfältig, da eigentlich jede körperliche Erkrankung auch eine “psychische Komponente” hat. Trotzdem können psychosomatische Störungen in drei Arten oder Cluster eingeteilt werden. Diese Einteilung gibt das ICD-10 vor, das internationale Diagnosesystem für Krankheiten:

  1. Psychische Erkrankungen, die sich somatisch äußern
  2. Somatische Erkrankungen, die eine eindeutige psychische Komponente haben und psychosomatisch behandelt werden (man nennt sie auch “Somatoforme Störungen”)
  3. Somatische Erkrankungen, die psychische Komponenten haben können aber nicht unbedingt psychosomatisch behandelt werden.

Zum ersten Punkt, also psychischen Erkrankungen, die sich somatisch äußern können, zählen:

  • Depressionen
  • Angststörungen
  • Zwangsstörungen
  • Dissoziative Störungen
  • Belastungsstörungen wie PTBS
  • Chronische Müdigkeit
  • Essstörungen
  • Persönlichkeitsstörungen

Zum zweiten Punkt, also somatischen Erkrankungen mit eindeutiger psychischer Komponente, zählen:

Zum dritten Punkt, den somatischen Erkrankungen mit psychischer Komponente ohne zwingende psychosomatische Behandlung, zählen:

  • Essenzielle Hypertonie
  • Herzmuskelinfarkt

Mehr über psychosomatische Fachdiagnosen kannst du hier nachlesen. 

Psychosomatische Störung: Behandlung

Die Behandlung von psychosomatischen Störungen erfordert meist viel Zeit und Geduld. In speziellen Psychosomatik- Kliniken bzw. psychosomatischen Stationen findet die Behandlung statt. Teil einer psychosomatischen Behandlung ist

  • Diagnostik von körperlichen Symptomen 
  • Förderung und Wissensvermittlung über gesunden Lebensstil (Sport, gesunde Ernährung, wenig Alkohol/ Rauchen)
  • Anwendung verschiedener Therapiearten (Physiotherapie, Ergotherapie, Entspannungstechniken, Psychotherapie etc.)
  • ggf. Beratung (z.B. im familiären Kontext)

An wen wende ich mich bei psychosomatischen Beschwerden?

Die erste Anlaufstelle bei einem Verdacht auf eine psychosomatische Störung ist der*die Hausärzt*in. Die Hausärzt*innen sind im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung ausgebildet und können Überweisungen geben und erste Untersuchungen machen.

Was ist eine psychosomatische Klinik?

Eine psychosomatische Klinik kann eigenständig oder als Teil einer großen Klinik mit anderen Stationen existieren. In einer psychosomatischen Klinik oder auf einer Psychosomatik- Station werden spezielle psychosomatische Krankheitsbilder mit verschiedenen Therapiearten behandelt. Andere psychische Störungen wie zum Beispiel Schizophrenie werden nicht in der Psychosomatik, sondern in der Psychiatrie behandelt.

Wie finde ich eine psychosomatische Klinik?

Um eine psychosomatische Klinik zu finden, die zu den eigenen Bedürfnissen passt, kann der “Klinikfinder Psychosomatik” genutzt werden. 

Wenn man sich nicht sicher ist, welche Klinik geeignet ist, kann man sich auch hier anmelden und erhält Beratung bzw. Unterstützung bei der Auswahl.

Wie lange dauert eine psychosomatische Behandlung?

Die Behandlung einer psychosomatischen Störung kann mitunter sehr lange dauern und braucht viel Geduld, da meistens mehrere Therapien zusammengeführt werden und auch das soziale Umfeld mit einbezogen wird. Außerdem ist die Dauer vom Krankheitsbild abhängig. Grob kann man sich bei der Behandlung in Fachkliniken nach diesen Durchschnittszahlen richten:

  • Allgemein 6-12 Wochen
  • Akutbehandlung 3-4 Wochen
  • Essstörungen 10-12 Wochen bis Jahre.
  • im Zusammenhang mit Persönlichkeitsstörungen 14 Wochen bis Jahre.

Eine psychosomatische Behandlung kann in einer Art Tagesklinik (teilstationär) bzw. Reha oder vollstationär, indem man sich auf Station aufnehmen lässt, stattfinden. 

Selfapy bei chronischem Schmerz

Selfapy bietet wissenschaftlich fundierte Online- Kurse an, die auf Rezept kostenfrei verfügbar sind. Die Kosten für die Online- Kurse werden von der Krankenkasse übernommen, wende dich dazu einfach an dein*e Hausärzt*in oder direkt an deine Krankenkasse. Im Kurs lernst du zum Beispiel mit den Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie, mit deinen Beschwerden umzugehen und dich im Alltag besser selbst beobachten zu können. 

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Alternativ kannst du auch einen Termin mit einer*m unserer Psycholog*innen machen und dich in einem kostenlosen Infogespräch zu unserem Angebot beraten lassen. Aktuell wird ein neuer Kurs zu chronischem Schmerz entwickelt. Mehr Informationen dazu findest du hier. Für die Studie, welche den Kurs wissenschaftlich fundieren soll, sind wir noch auf der Suche nach Teilnehmer*innen. Wenn du von chronischem Schmerz oder Rückenschmerzen betroffen bist und kostenlos am Kurs teilnehmen möchtest, dann melde dich hier. 

Woher kommen psychosomatische Beschwerden? Ursachen

Eine psychosomatische Störung kennzeichnet sich u.a. dadurch, dass man keine körperliche (organische) Ursache finden kann. Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn man sich den Arm bricht, hat man an der gebrochenen Stelle Schmerzen und diese sind eindeutig auf den Bruch zurückzuführen. Hat man aber plötzlich Kopfschmerzen, ist es schwerer, herauszufinden, was diese Schmerzen auslöst. Meistens können viele verschiedene Faktoren Auslöser sein, zum Beispiel 

  • überdurchschnittliche Belastung am Arbeitsplatz oder woanders
  • viel Bildschirmzeit
  • wenig Schlaf
  • Konflikte in der Beziehung oder woanders
  • Umzug und die Vor- und Nachbereitung dessen
  • Hochzeit
  • Geburt eines Kindes.

 Solche verschiedenen Faktoren bezeichnet man in der Psychosomatik als “Stressoren”. Psychosomatische Stressoren sind also Reize, die für uns eine Anforderung darstellen (Amboss). Stressoren können in drei Arten gegliedert werden:

  • Psychisch: Zeitdruck, Reizüberflutung, Hochzeit, Tod, hohe (eigene) Leistungsanforderungen
  • Somatisch: wenig Schlaf, Vorerkrankungen und sonstige körperliche Belastungen
  • Umwelt: hohe Leistungsanforderungen von außen

Theorien zur Erklärung psychosomatischer Störungen

Psychosomatische Krankheitsbilder lassen sich je nach Ursache durch drei Theorien erklären, obwohl man dazu sagen muss, dass keine der Theorien die Dynamiken der Psychosomatik vollständig erfassen kann.

Psychosomatische Erkrankungen können mit dem

  • Vulnerabilitäts- Stress- Modell
  • Konversionsmodell
  • Anforderungs- Kontroll- Modell 

erklärt werden. 

Um die Ursachen in der Psychosomatik besser verstehen und erforschen zu können, wurde zum Beispiel das “Anforderungs- Kontroll- Modell” nach Karasek entwickelt. Vor allem Belastungen, denen Personen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, werden in diesem Modell betrachtet. Die Belastung durch arbeitsbezogene Themen wird in diesem Modell “Job Strain” genannt. 

  • Job Strain setzt sich so zusammen: Sind hohe Ansprüche und Erwartungen an eine Person gestellt und hat die Person wenig Möglichkeit diese zu kontrollieren, ist das Stressempfinden auch höher

Das Konversionsmodell wurde von Sigmund Freud entwickelt und zählt zu den ältesten Erklärungen für psychosomatische Krankheitsbilder. Freud untersuchte zum Beispiel recht umfangreich die Ursachen von Hysterie, einem psychischen Symptom, welches er auf körperliche und gesellschaftlich/ kulturell bedingte Ursachen zurückführte. 

  • Im Konversionsmodell wird ein ungelöster innerpsychischer Konflikt auf die körperliche Ebene übertragen, was man an körperlichen Symptomen “sehen kann”.

Beim Vulnerabilitäts- Stress- Modell werden Anforderungen an eine Person gestellt, die zu Stress führen können. Je nachdem, wie vulnerabel (empfänglich für Stress) eine Person ist und mit wie vielen Stressoren sie konfrontiert ist, wird die individuelle Belastungsgrenze schnell oder langsam erreicht. Aus chronischem Stress, also der Überschreitung der individuellen Belastungsgrenze über einen längeren Zeitraum, können sich laut dem Vulnerabilität- Stress- Modell körperliche Symptome entwickeln. Diese körperlichen Symptome sind dann psychosomatisch.

Psychosomatik: Kleine Geschichte

Die Psychosomatik als eigene Fachrichtung ist noch gar nicht so alt. Während die Anfänge der Psychologie bzw. der Psychotherapie vor allem durch Sigmund Freud und eine analytische Sichtweise geprägt wurden, entwickelte ein amerikanischer Arzt in den 1960er Jahren das sogenannte Bio-Psycho-Soziale Modell. Später wurden Subdisziplinen wie die Gesundheitspsychologie und heute die Fachrichtung “Public Health” bekannt und erforscht. Man hat, grob gesagt, in der Psychologie irgendwann festgestellt, dass nicht nur interne Faktoren, sondern auch die Umwelt und das soziale Umfeld maßgeblich zur Entstehung von Stress und somit psychischen Krankheiten beitragen können. 

Psychosomatik und das “Syndrom der dicken Krankenakte”

Unter dem Syndrom der dicken Krankenakte (Big File Patient) wird in der Medizin bzw. bei den Somatisierungsstörungen eine bestimmte Patient*innengruppe zusammengefasst, die

  • häufig Ärzt*innen aufsuchen
  • häufig Ärzt*innen wechseln (weil einem zum Beispiel nicht geholfen werden konnte)
  • sehr sensitiv auf kleinste und im Normalbereich liegende Beschwerden reagieren
  • meist keine eindeutigen Symptome für eine Krankheit aufweisen
  • selten bis nie Therapieerfolge haben (Therapieresistenz).

In der Psychosomatik bzw. auf psychosomatischen Stationen kann es vorkommen, dass solche sogenannten “Pseudogesunden” sich über eine Reihe von unspezifischen Symptomen beklagen. Für diese kann allerdings häufig keine genaue Ursache gefunden werden, weshalb man von “Pseudogesundheit” spricht. 

Eine Studie untersuchte 590 solcher Patient*innen einer psychosomatischen Klinik bei Göttingen. Die Betroffenen kreuzten in einem Fragebogen (SCL 90-R) nirgendwo die Höchstwerte für einzelne Krankheiten an. Auch die Therapeut*innen bescheinigten umgekehrt, dass es bei 8,4% ihrer Patient*innen keine ernsthaften Probleme gab.

Ein Artikel von

Hanna Eggebrecht Redakteurin · B.Sc. Psychologie | M.Sc. Psychotherapie

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Quellenangaben

  1. Bild: Foto von Ba Tik: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-im-grauen-kleid-das-auf-bett-sitzt-3754299/
  2. Axel Schweickhardt, Kurt Fritzsche, Michael Wirsching: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (Springer-Lehrbuch), Heidelberg 2005, ISBN 3540218777, S. 5 und 7.
  3. Herzog, W.; Kruse, J.; Wöller, W. Psychosomatik. Erkennen – Erklären – Behandeln. DOI: 10.1055/b-004-135633 © 2017 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
  4. https://next.amboss.com/de/article/Ep08rS#Z0da157710621c03cf8204068e5bc2e2d
  5. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001k_S3_Funktionelle_Koerperbeschwerden_2019-08.pdf 
  6. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001l_S3_Funktionelle_Koerperbeschwerden_2018-11.pdf 
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Psychosomatik 
  8. https://next.amboss.com/de/article/rn0fug?q=psychosomatik#Zd550ee4d09ec13610894a962edf87181
  9. https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/psychosomatik 
  10. https://www.psychologie-heute.de/gesundheit/artikel-detailansicht/40413-die-pseudogesunden.html
  11. https://www.klinikfinder-psychosomatik.de/wissenswertes/faq/
  12. Klemens Dieckhöfer: Psychosomatik. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1197 f., hier: S. 1197.
  13. Roenneberg C, Sattel H, Schaefert R, Henningsen P, Hausteiner-Wiehle C:Clinical practice guideline: Functional somatic symptoms. Dtsch Arztebl Int 2019;116: 553–60. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0553
  14. Spitzer, C., Masuhr, O., Jaeger, U., & Euler, S. (2019). Pseudogesunde Patienten in der stationären Psychotherapie – Ein Annäherungsversuch [Psychotherapy Inpatients With Illusory Mental Health - An Explorative Approach]. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 69(11), 445–452. https://doi.org/10.1055/a-0853-1762

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