Zurück 13 Jun 2023 · 8 min lesezeit
von Felicitas Eva Lindner
Angst vor Nähe c by Charles Deluvio

Es sind  natürliche Bedürfnisse des Menschen gesehen, akzeptiert, geliebt und  verstanden zu werden. Doch nicht allen Menschen fällt es leicht, eine emotionale Bindung zu anderen Personen einzugehen, was jedoch die Voraussetzung für ein Gefühl von tiefer Verbundenheit darstellt.

Warum kann ich andere nicht an mich heranlassen?

Angst vor Intimität oder vor emotionaler Nähe kann unterschiedlichste Gründe haben. So können zum Beispiel in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen, der Bindungstyp, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und viele weitere Faktoren die Angst vor Nähe beeinflussen. Zudem besteht ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen all diesen Faktoren. Im Folgenden findest du einige mögliche Ursachen dafür, warum es dir oder einer Person in deinem Umfeld schwer fallen könnte, eine stabile emotionale Bindung aufzubauen:

  • Trauma: Das Erleben eines Traumas kann dazu führen, dass das Vertrauen einer Person in andere Menschen erschüttert ist oder dass eine Person übermäßige Angst vor Verletzung oder Ablehnung hat. So kann die Schwierigkeit entstehen, eine emotionale Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen.
  • Bindungsangst: Bindungsangst äußert sich dadurch, dass betroffene Personen kaum Bindungen eingehen. Begründet liegt sie in der Angst vor Abhängigkeit oder Angst vor Verpflichtungen. Diese können durch Unsicherheit sich selbst gegenüber, aufgrund eines bestimmten Bindungstyps, aber auch durch vergangene Beziehungserfahrungen entstehen. 

Exkurs: Bindungstypen

Die Psychologin Mary Ainsworth und der Psychoanalytiker John Bowlby unterscheiden vier unterschiedliche Bindungstypen: Sicher, vermeidend, unsicher-vermeidend und desorganisiert. Der individuelle Bindungstyp entwickelt sich meist in der Kindheit, festigt sich und prägt zukünftige Beziehungen. Durch neue Erfahrungen können Bindungstypen aber auch verändert werden.
  • Soziale Ängste: Menschen, die unter sozialen Ängsten leiden, haben häufig vor sozialen Situationen Angst und meiden diese. Sie haben dadurch Schwierigkeiten, soziale Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Sich anderen Menschen zu öffnen und sie an sich heranzulassen, wird durch die große Angst vor Ablehnung erschwert.

Leidest du unter einer Angststörung? Finde es heraus mit dem Selbsttest bei generalisierter Angststörung von Selfapy. Achte jedoch darauf, dass der Test lediglich zur ersten Einschätzung dient und keine professionelle Diagnose ersetzt.

  • Persönlichkeitsmerkmale: Auch individuelle Persönlichkeitsmerkmale können sich auf die Fähigkeit, Nähe zuzulassen, auswirken. So kann es beispielsweise sein, dass eine introvertierte Person dazu neigt, mehr Distanz zu anderen Menschen zu halten und so stärkere Schwierigkeiten hat, sich auf Intimität einzulassen. 

Wie erkenne ich Angst vor Nähe?

Du möchtest herausfinden, ob du oder eine Person in deinem Umfeld unter Angst vor Nähe leidet? Es gibt einige Anzeichen, die ein Hinweis darauf sein können, dass eine Person Angst vor Intimität hat. Achte jedoch darauf, dass nicht jeder dieser Punkte ein Hinweis sein muss und dass es hier wichtig ist, jede Situation individuell zu bewerten.

  • Vertrauensprobleme: Oftmals sind Menschen, die Angst vor Intimität empfinden, sehr misstrauisch und es fällt ihnen schwer, Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen. 
  • Streben nach Unabhängigkeit: Oft ist bei Menschen, denen die emotionale Nähe zu anderen schwer fällt, ein starkes Streben nach Unabhängigkeit zu beobachten. Es fällt ihnen auch schwer, die Hilfe anderer anzunehmen und sie sind sehr selbstständig.
  • Schwierigkeit, Gefühle auszudrücken: Betroffene Personen neigen dazu, ihre Gefühle nicht gut verbal ausdrücken zu können oder haben Angst sie zu zeigen und können sie gut verbergen. Oftmals ist es für andere dann schwierig zu fassen, wie sich Betroffene fühlen.
  • Furcht vor Zurückweisung: Es kann sein, dass eine Person Angst vor Intimität hat, da sie fürchtet, abgelehnt zu werden. Oftmals vermeidet sie deswegen Situationen, die zu Zurückweisung führen könnten.
  • Vermeidungsverhalten: Personen, die Angst vor Nähe empfinden, neigen oft dazu, keine engen emotionalen und zwischenmenschlichen Beziehungen einzugehen und bleiben unter Umständen sowohl körperlich als auch emotional distanziert von anderen Menschen.
  • Mangelndes Selbstwertgefühl: Wenn eine Person Angst vor Nähe hat, hängt das oft auch mit dem eigenen geringen Selbstwertgefühl zusammen. Dieser kann sich durch das Infragestellen des eigenen Werts, der eigenen Fähigkeiten oder die Beziehungsfähigkeit äußern.

Beziehungstest: Wie gut ist meine Beziehung

Mit dem Selfapy Beziehungstest, der den wissenschaftlichen Paarklimaskalen von Klaus A. Schneewind und Joachim Kruse entspricht, kannst du eine Einschätzung darüber erhalten, wie gut deine Beziehung ist.


Was kann man gegen Angst vor Nähe tun?

Um der Angst vor Intimität entgegenzutreten, gibt es verschiedene Strategien. Behalte aber im Hinterkopf, dass Menschen unterschiedlich sind und es nicht die eine funktionierende Lösung geben wird. Vielleicht musst du dich ein bisschen ausprobieren, um die Schritte zu finden, die dir in deiner persönlichen Situation helfen können. Wenn du das Gefühl hast, alleine nicht weiterzukommen, kann es hilfreich sein, psychotherapeutische oder ärztliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. So kannst du die Ursache deiner Angst erkennen und lernen, wie du besser mit ihr umgehen und sie bewältigen kannst. Fürs Erste haben wir im Folgenden aber einige Tipps für dich zusammengefasst, die du zunächst einmal alleine ausprobieren kannst:

Kommunikation

Um funktionierende und wertschätzende Beziehungen auf Augenhöhe mit anderen Menschen eingehen zu können, ist offene Kommunikation sehr wichtig. Das bedeutet, möglichst ehrlich zu dir selbst und zu anderen zu sein und deine Emotionen zu verbalisieren. So kannst du anderen Menschen und dir selbst dabei helfen, Vertrauen aufzubauen, indem ihr einander besser kennen- und verstehen lernt.

Selbstreflexion

Versuche, deinen eigenen Unsicherheiten und Ängsten auf den Grund zu gehen. Gibt es vielleicht frühere Erfahrungen, die du gemacht hast, die sich auf das Entstehen dieser Ängste ausgewirkt haben könnten? Versuche, die Selbstreflexion als ersten Schritt zu sehen, dich mit deiner Angst auseinanderzusetzen. Vielleicht gibt es auch alte Beziehungsmuster, die dir so nicht mehr gut tun. So kann es zum Beispiel passieren, dass du in Beziehungen schnell abhängig von einer*m Partner*in wirst oder du dich mehr nach deiner*m Partner*in richtest, als auf deine eigenen Bedürfnisse achtest. Dann überlege dir, was du stattdessen anstreben willst.

Achtsamkeit

Um dich aktiver und bewusster mit deinen Gefühlen zu beschäftigen, kann dir Achtsamkeit helfen. Versuche also, deine Emotionen nicht zu unterdrücken oder klein zu reden. Auch unangenehme Gefühle dürfen da sein und es ist wichtig, dass du sie wahrnimmst. Sprich über das was dich beschäftigt oder schreib es auf. Versuche aber, diese Emotionen nicht einfach zu ignorieren. Versuche sie aber auch, sie nicht zu groß zu machen. Du darfst dich auch ablenken, dir Zeit für schöne Dinge nehmen, Freund*innen treffen oder ein Buch lesen. Nimm die Gefühle, egal welche, wahr und gib ihnen Raum, lass sie dann aber auch wieder gehen. Versuche ausreichend Zeit für schöne Beschäftigungen, Sport, deine Freund*innen oder andere Dinge, die dir Freude bereiten, in deinem Alltag einzuplanen. 

Geduld

Bleibe geduldig mit dir. Persönliches Wachstum und die Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Ängsten erfordert viel Mut. Es handelt sich um einen Prozess, der Höhen und Tiefen mit sich bringen kann und nicht immer stetig nach oben verläuft. Lerne, kleine Erfolge anzuerkennen und eventuelle Rückschläge nicht zu streng zu sehen. Eine Möglichkeit hierfür ist, jeden Abend aufzuschreiben, worauf du an diesem Tag stolz bist.

Gegebenenfalls kann dir ein*e  Psychotherapeut*in dabei helfen, die beste Strategie für dich zu finden und gemeinsam mit dir daran zu arbeiten.

Gesunde Beziehungen: Emotionale Verbundenheit aufbauen

Um gesunde soziale Beziehungen und emotionale Intimität aufzubauen, braucht man vor allem Zeit. Zeit, um einander kennenzulernen, Zeit, um Vertrauen aufzubauen, Zeit, um offen zu sein und Zeit für sich selbst. Hier haben wir einige Tipps für dich, die mehr Nähe und Intimität in deine sozialen Beziehungen bringen können. 

Nimm dir Zeit für dich!

Nimm dir ausreichend Zeit, um Selbstreflexion zu betreiben und dich selbst besser kennenzulernen.  Für funktionierende soziale Beziehungen ist es wichtig, dass du deinen eigenen Wert kennst sowie deine Bedürfnisse und Grenzen und diese auch kommunizieren kannst. Lerne, selbst für dich und dein Wohlbefinden zu sorgen und Unterstützung einzufordern, wenn du sie brauchst. Du kannst dir zum Beispiel bewusst jeden Tag Zeit nehmen, in der du einfach ein Buch liest oder Sport machst. Wenn du das Gefühl hast, dass eine andere Person eine Grenze von dir überschritten hat, dann ist es wichtig, das zu kommunizieren und auch nein zu  sagen.

Sei offen!

Versuche, möglichst offen und ehrlich zu kommunizieren. Nur wenn du deine Emotionen und dein Inneres teilst, natürlich nur, solange du dich wohl damit fühlst, kann dein Gegenüber verstehen, wie es dir geht. Zeige deinem Gegenüber genauso Interesse und Empathie, damit ihr Vertrauen zueinander aufbauen könnt.

Sei kompromissbereit!

Wenn du dir funktionierende soziale Beziehungen wünschst, dann heißt das auch zu akzeptieren, dass alle Menschen unterschiedliche Meinungen und Bedürfnisse haben. Ein ähnliches Wertesystem ist wichtig, sei aber offen und kompromissbereit. Eine Beziehung erfordert oft die Bereitschaft dazu, mit unterschiedlichen Standpunkten klarzukommen.

Zeige Verständnis!

Wir haben alle hin und wieder mit Herausforderungen zu kämpfen und sind fühlende Wesen. Gib deinem Gegenüber also Raum, wenn sie*er den benötigt und versuche, verständnisvoll zu sein.

Exkurs: Selfapy Gesprächskarten

Du wünschst dir mehr Nähe und Intimität in deinen Beziehungen? Dann lade dir jetzt die kostenlosen Gesprächskarten von Selfapy herunter. Für unvergessliche Gespräche, um mehr Nähe aufzubauen und die Möglichkeit, dein Gegenüber von einer neuen Seite kennenzulernen. Bei einem gemütlichen Abend zu zweit oder beim Zusammensein mit Freund*innen, sie sorgen garantiert für neue Impulse.

Online-Kurse von Selfapy bei psychischen Erkrankungen

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Ein Artikel von

Felicitas Eva Lindner Redakteurin · Journalismus M.A. | Psychologie B.Sc. | Psychologie M.Sc.

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Quellenangaben

  1. Becker-Phelps, L. (2014). Insecure in love: How anxious attachment can make you feel jealous, needy, and worried and what you can do about it. New Harbinger Publications.
  2. Firestone, R. W., & Catlett, J. (1999). Fear of intimacy. American Psychological Association.
  3. Hehenberger, Caroline (2022). Wie man eine emotionale Verbindung aufbaut. Online verfügbar unter https://metadating.at/wie-man-eine-emotionale-verbindung-aufbaut/ [05.06.23].
  4. Torres, S. (2019). On elastic ties: Distance and intimacy in social relationships. Sociological Science, 6, 235-263.

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