Zurück 24 Oct 2022 · 7 min lesezeit
von Felicitas Eva Lindner
Alexander Grey

Euphorie: Ein unglaublicher Glückszustand der Menschen so erfüllt, dass sie ihn auch nach außen hin glücklich und lebendig, sogar strahlend erscheinen lässt. Das Gegenteil davon ist Dysphorie. Wie entsteht sie, was ist das eigentlich  genau und was kann man dagegen machen?

Dysphorie: Bedeutung

Dysphorie bezeichnet eine bestimmte Form der affektiven Störung, also eine psychische Störung, die sich vor allem auf den Antrieb und die Stimmung auswirkt. Dysphorie kann als eigenständige psychische Störung, aber auch als Symptom einer anderen psychischen Störung, wie zum Beispiel einer Depression auftreten. Dysphorie ist ein Begriff, der häufig auch als psychisches oder soziales Unwohlsein beschrieben wird, das vor allem bei trans* und nicht-binären Menschen vorkommt.

Dysphorie: Symptome

Die Symptome einer Dysphorie sind hauptsächlich an der Stimmung Betroffener erkennbar. Sie haben häufig schlechte Laune, verspüren Unzufriedenheit und Missmut. Sie sind häufig sehr gereizt, schnell verärgert oder mürrisch und übertragen diese Stimmung oft auch nach außen hin. Auch Ängstlichkeit und Irritiertheit kommen vor.

Dysphorie: Ursachen

Dysphorie ist häufig eine Begleiterscheinung einer anderen psychischen Erkrankung. Dysphorische Stimmung kann zum Beispiel bei einer Depression oder einer bipolaren Störung vorkommen.

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Es kann aber auch sein, dass eine organische Erkrankung der Auslöser für die Affektstörung ist. Auch Vergiftungen, die Einnahme bestimmter Medikamente oder ein Entzug können das Entstehen einer Dysphorie begünstigen. Außerdem können hormonelle Veränderungen zu einer Beeinträchtigung der Stimmung führen. Man spricht dann von prämenstrueller Dysphorie.

Gender Dysphoria

Genderdysphorie wird häufig gleichbedeutend mit dem Begriff der Körperdysphorie verwendet. Per Definitionem bezieht sie der Begriff der Geschlechtsdysphorie aber auch das unangenehme Gefühl, das entsteht, wenn die eigene Wahrnehmung des Geschlechts nicht mit der sozial erwarteten Geschlechterrolle übereinstimmt. Körperdysphorie hingegen kommt dann vor, wenn die eigenen körperlichen Merkmale nicht mit dem eigenen Empfinden von Geschlecht übereinstimmen.

Dysphorie kann auch im Rahmen einer geschlechtsspezifischen Abweichung vorkommen. Man spricht dann von Geschlechtsdysphorie. Eine geschlechtsspezifische Abweichung liegt dann vor, wenn eine Person sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei ihrer Geburt zugewiesen wurde. Für Betroffene von geschlechtsspezifischen Abweichungen wird der Begriff Transgender-Personen verwendet. Nach dem amerikanischen Klassifikationssystem psychischer Erkrankungen DSM-5 gilt die Geschlechtsdysphorie schon seit 2013 nicht mehr als psychische Störung. Das trifft hier auch auf nichtbinäre, genderfluide und homosexuelle Menschen zu. Das ICD-11 geht einen weiteren Schritt der Entpathologisierung und führt die Diagnose "Gender Inkongruenz" im Kapitel "Probleme/Zustände im Bereich der sexuellen Gesundheit” ein.

Mit einer geschlechtsspezifischen Abweichung geht oft auch eine Geschlechtsdysphorie einher. Denn oft empfinden Betroffene Menschen einen enormen Leidensdruck, der häufig schon im Kindes- und Jugendalter beginnt. Oft haben Betroffene auch mit sozialer Ausgrenzung, psychischen Erkrankungen wie Depressionen zu kämpfen. Betroffenen eine angemessene Behandlung zu ermöglichen, die nicht die geschlechtsspezifische Abweichung selbst in Frage stellt, ist daher sehr wichtig.

Man unterscheidet zwei Arten der Gender Dysphorie, je nach Alter der betroffenen Personen:

  • geschlechtsspezifische Abweichung während der Pubertät oder im Erwachsenenalter
  • geschlechtsspezifische Abweichung während der Kindheit

Gender Dysphorie unterscheidet sich im Erleben ein wenig von der Dysphorie, die beispielsweise als Begleitsymptom einiger psychischer Erkrankungen auftreten kann. Oftmals kommt hier auch das Gefühl von körperlichem und sozialem Unwohlsein hinzu. So ist es für Betroffene Personen zum Beispiel unangenehm und sie empfinden Dysphorie, wenn sie von ihrem Umfeld einem Geschlecht entsprechend wahrgenommen werden, das nicht mit ihrer eigenen Wahrnehmung, mit ihrer Gender Identität übereinstimmt. Auch der soziale Druck, äußerlich einem bestimmten Geschlecht zuzuordnen zu sein, spielt eine Rolle. Das kann unter anderem einen Grund für eine Hormontherapie oder geschlechtsangleichende Operationen darstellen. Es ist außerdem wichtig festzuhalten, dass Dysphorie nicht alle trans* oder nicht-binären Personen betrifft. Sie kann, aber muss nicht vorkommen und kann alle Menschen gleichermaßen betreffen.

Problematik der Begrifflichkeiten

Im Klassifikationssystem ICD-10 wurden geschlechtsspezifische Abweichungen noch als Geschlechtsidentitätsstörung bezeichnet und somit als psychische Störung kategorisiert. Viele Transsexuellenorganisationen kritisieren, dass dieser Begriff auf die Psychoanalyse zurückgehe und eine unwissenschaftliche Kategorisierung darstellt. Die Wissenschaft hingegen legt nahe, dass weder Chromosomen noch die Genitalien von Menschen eine klare Definition des Geschlechts einer Person erlauben. Nach der Psychoanalyse und für das Vorliegen einer so genannten Störung der Geschlechtsidentität ist das Vorhandensein eines klar klassifizierten biologischen Geschlechts aber wichtig, da die Psyche für das Vorliegen der Störung von diesem abweichen muss. Da Geschlecht aber ein sehr komplexes und für viele Menschen einengendes Konzept ist und Transsexualität für Betroffene nicht nur bedeutet, als Angehörige*r des anderen Geschlechts zu leben, ist eine angemessene Verwendung des Begriffs Geschlechtsidentitätsstörung oder auch geschlechtsspezifische Abweichung umstritten. Wie schon erwähnt wurde im ICD-11, das am 1.1.2022 in Kraft getreten ist, daher der Begriff Gender Inkongruenz eingeführt.

Exkurs: Diskriminierung kann krank machen

Das Gesundheitssystem und die Gesundheitsversorgung in Deutschland stellen queere Menschen nach wie vor vor Herausforderungen. Diskriminierung macht krank und kann ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen. In der Gesellschaft gibt es zwar zunehmend mehr Aufklärung über die Bedürfnisse und Herausforderungen queerer Personen, aber der Weg zu einem diskriminierungsfreien und akzeptierendem gesellschaftlichen Miteinander ist noch lang. Auch gesundheitliche Anliegen wie psychische Erkrankungen, die aufgrund von zum Beispiel Diskriminierung entstehen können, werden nach wie vor zu wenig wahrgenommen. Fachwissen und Kompetenz im ärztlichen und therapeutischen Umgang darüber, welche Bedürfnisse oder Probleme queere Menschen haben, die cisgender-Menschen oder Personen in heteronormativen Beziehungen nicht haben, fehlen. Es braucht eine inklusive Gesundheitsversorgung, die die Bedarfe von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen wahrnimmt und ihnen ebenso respektvoll begegnet.

Was ist genderfluid?

Ebenfalls oft von Dysphorie betroffen sind genderfluide Personen. Was bedeutet Gender Fluidity aber genau? Gender Fluidity bedeutet, die eigene Sexualität sowie die eigene Geschlechtsidentität laufend zu hinterfragen und neu zu verhandeln. Auf Deutsch bedeutet Gender Fluidity so viel wie Geschlecht im Fluss. Der Begriff bezeichnet eine geschlechtsspezifische Ausrichtung, die nicht näher eingeordnet, nicht definiert wird. Geschlechtliche Empfindungen wechseln fließend zwischen geschlechtsneutralen, weiblichen und männlichen, ein bisschen vergleichbar mit dem Wechsel der Stimmung. Der Wechsel muss aber gar nicht nach außen hin offensichtlich sein, bietet Menschen aber den Raum, ihre Emotionen und Empfindungen in ihrem Körper als einem neutralen Raum auszuleben.

Genderfluidität hat demnach zunächst nur wenig mit Äußerlichkeiten, der Sexualität oder auch der wahrgenommenen Geschlechtszugehörigkeit zu tun. Im Gegensatz zu Transgender-Menschen wird bei Genderfluidität keine eindeutige geschlechtliche Veränderung angestrebt.

Genderfluidität ist also ein sehr freier, individuell ausgelebter Begriff. Was jedoch zusammenfassend gesagt werden kann, ist, dass das Geschlechtsempfinden über das des angeborenen Geschlechts hinausgeht. Genderfluidität kann also bei Menschen jeden Geschlechts und jeder sexuellen Orientierung vorkommen.

Postkoitale Dysphorie

Dysphorie kommt bei vielen Personen jeden Geschlechts auch oft nach dem eivernehmlichen und befriedigenden Sex oder nach dem Orgasmus vor. Warum manche Menschen von dieser Stimmungsveränderung betroffen sind, ist bisher relativ unklar. Bei einer postkoitalen Dysphorie kann es vorkommen, dass Betroffene traurig oder melancholisch werden, dass sie weinen, ängstlich werden, innere Unruhe, Irritiertheit oder Aggressivität spüren.

Ursachen können zum Beispiel (nicht zwingend sexuelle) Missbrauchserfahrungen sein, ebenso Beziehungs- oder Bindungsangst sowie Schwierigkeiten in der Beziehung bzw. ein für die betroffene Person als schwierig empfundenes Verhältnis zu dem*der Sexualpartner*in. Auch gesellschaftliche Erwartungen wie eine religiöse Erziehung oder sexuelle Schwierigkeiten wie Erektionsstörungen oder ein ausbleibender Orgasmus können zu postkoitaler Dysphorie führen. Die Forschungslage zu diesem Thema ist jedoch noch nicht klar oder aussagekräftig.

Perspektiven

Je nachdem, was die Ursache für eine Dysphorie ist, können unterschiedliche Dinge helfen, nicht immer muss es sich um eine Psychotherapie handeln.

Wenn eine Dysphorie daher kommt, dass das eigene körperliche Erscheinungsbild nicht zu der Wahrnehmung des eigenen Geschlechts passt, können bei Trans-Männern beispielsweise eine Masektomie, also das Entfernen der Brüste, oder andere geschlechtsangleichende Maßnahmen helfen. Es geht also darum, auch das Aussehen an die eigene geschlechtliche Vorstellung anzupassen und somit die eigene Wahrnehmung der Diskrepanz als auch die nach außen hin wahrgenommene Diskrepanz zu reduzieren.

Geht eine Person durch eine Transition, kann eine begleitende Psychotherapie hilfreich sein, ist aber kein Muss. Betroffene von Gender-Dysphorie entscheiden selbst, ob sie diese Option der Unterstützung wahrnehmen möchten oder nicht.

Mehr dazu findest du in dem Podcast von deutschlandfunk nova.

Hier findest du außerdem einen Guide zum Schutz für LGBTQs vor Cybermobbing im Internet.

Disclaimer

Dieser Beitrag ist nicht aus Perspektive einer betroffenen Person, sondern einer Journalistin und Psychologin geschrieben. Die Erfahrung von Betroffenen kann abweichen. Ihre Stimmen sind in diesem Zusammenhang die wichtigsten. Wenn du mehr zu diesem Thema erfahren möchtest, verlinken wir dir hier Profile von Personen, die sich zu diesem Thema öffentlich äußern: 

Bitte beachte, dass die Personen private Personen sind, die keinen Bildungsauftrag haben. Außerdem kannst du dich an Organisationen wenden, die sich für geschlechtliche Selbstbestimmung einsetzen:

Ein Artikel von

Felicitas Eva Lindner Redakteurin · Journalismus M.A. | Psychologie B.Sc. | Psychologie M.Sc.

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Quellenangaben

  1. 100Mensch.de (o.J.) Dysphorie. Online verfügbar unter https://100mensch.de/lexikon/dysphorie/  [04.10.22].
  2. doccheck.com (o.J.) Dysphorie. Online verfügbar unter https://flexikon.doccheck.com/de/Dysphorie [04.10.22].
  3. Gallus, Susanne (2018). Postkoitale Dysphorie: Angst, Unruhe und Depressionen nach dem Orgasmus. Online verfügbar unter https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/postkoitale-dysphorie-angst-unruhe-und-depressionen-nach-dem-orgasmus [04.10.22].
  4. Leibgruber, Simone (2017). Trendthema “Gender Fluidity”. Kaleidoskop der Geschlechter. Online verfügbar unter https://bellevue.nzz.ch/mode-beauty/trendthema-gender-fluidity-kaleidoskop-der-geschlechter-ld.151238 [04.10.22].
  5. queer-lexikon.net (2017). Dysphorie. Online verfügbar unter https://queer-lexikon.net/2017/06/15/dysphorie/  [04.10.22].

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