Zurück 13 Sep 2023 · 7 min lesezeit
von Felicitas Eva Lindner

Toxische Beziehung, toxischer Mensch, toxic positivity. Der Begriff “toxisch” ist in aller Munde, kaum etwas führt an ihm vorbei. Doch was genau bedeutet der Begriff toxische Beziehung eigentlich? Es handelt sich bei dem Wort “toxisch” nicht um einen psychologischen Fachbegriff. Seine Verwendung ist daher mit Vorsicht zu genießen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass er derzeit einen wahren Hype erlebt.

Zusammengefasst umschreibt der Begriff Verhalten - eigenes oder das von anderen - , das nicht gut tut, psychisch oder körperlich schadet. Das kann beispielsweise aus dem Unterdrücken von Gefühlen oder Überschreiten von Grenzen heraus entstehen. 

Das ist typisch in toxischen Beziehungen

In einer “toxischen” Beziehung entsteht nach einer Weile aber meist ein Ungleichgewicht zwischen den Partner*innen. Die Bedürfnisse der Person, die in der Beziehung dominanter ist, werden über die der anderen Person gestellt. Alle Beziehungen haben ganz unterschiedliche Muster an Nähe und Distanz, je nachdem, wie die Bedürfnisse der jeweiligen Partner*innen sind. In einer “toxischen” Beziehung sind aber nur noch die Bedürfnisse einer Person wichtig. Die Bedürfnisse der anderen Person gehen in einer solchen Partnerschaft komplett unter und auch ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz kann kaum noch eingehalten werden.

Wie fängt es an, toxisch zu werden?

Auch in Bezug auf Partnerschaften wird das Wort toxisch immer häufiger genutzt. Und tatsächlich, Beziehungen können, vielleicht sogar langsam, schleichend, zu toxischen werden. Also giftig und belastend. Der Beginn einer “toxischen” Beziehung ist oft genauso schön wie der jeder anderen Beziehung. Man hat Schmetterlinge im Bauch, fühlt sich wohl mit der anderen Person, möchte so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen. Man fühlt sich geliebt, besonders und genießt die Aufmerksamkeit.

Dunkle Triade: Ursachen für toxische Beziehungen

In der Psychologie gibt es die Theorie der “Dunklen Triade”, also von drei Persönlichkeitseigenschaften, die sich besonders negativ in Beziehungen äußern können. Diese sind Machiavellismus, Psychopathie und Narzissmus. Die Gemeinsamkeit dieser Drei nennen Forscher*innen auch “D-Faktor”, der sich, kurz gesagt, in antisozialem und manipulativem Verhalten äußert. Eine besonders dominante Ausprägung der Dunklen Triade könnte sich in einer Persönlichkeitsstörung äußern, die wiederum eine ungünstige Bedingung für eine stabile Beziehung darstellt. 

Es kann vorkommen, dass eine dominantere Person in einer “toxischen” Beziehung eine Tendenz zu einer Persönlichkeitsstörung hat, oftmals wird diese Person auch als toxischer Mensch bezeichnet.

Abhängigkeit, Demütigung, Zweifel

In toxischen Beziehungen entsteht meist ein ungesundes Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen zweier Menschen in einer Beziehung. Es kann sich zu einem regelrechten Schwanken zwischen zwei Extremen, zwischen kompletter Katastrophe und riesigem Glück entwickeln. Kleinigkeiten können riesige Streits, im schlimmsten Fall sogar das Anzweifeln der gesamten Beziehung auslösen. Dadurch, dass die Bedürfnisse einer Person stets im Vordergrund stehen und die andere Person sich nach ihnen richtet, werden der Person, die versucht Erwartungen zu erfüllen, jegliche Gefühle abgesprochen oder sogar negiert.

Ein Merkmal von “toxischen” Beziehungen ist aber, dass beide Beziehungspartner*innen ein Gefühl der Alternativlosigkeit spüren, dass sie das Gefühl haben, mit sonst niemandem zusammen sein zu können oder zu wollen, keine andere Beziehung führen zu können.

So entsteht eine enorme Form der Abhängigkeit, aus der man sich kaum lösen kann. Trotz des oft kaum aushaltbaren Stresslevels, das diese Art der Beziehung mit sich bringt. Partner*innen werden nach außen hin sogar oftmals verteidigt, auch vor sich selbst.

Das ständige Stresserleben in der Beziehung kann sich nicht nur aus die psychische Gesundheit, sondern langfristig auch auf das körperliche Wohlbefinden auswirken. Daher ist es wichtig, die Dynamik hinter einer “toxischen” Beziehung zu erkennen, um sich aus ihr lösen zu können.

Warum trifft es immer mich?

Toxische Beziehungen können aus den unterschiedlichsten Gründen entstehen. Meist entstehen sie aus einer Dynamik zwischen zwei Personen, die sich in ihren unbewussten und ungelösten Konfliktthemen ergänzen.

Bei den sehr empathischen Beziehungspartner*innen handelt es sich oft um Personen, die in ihrer Kindheit Mangel emotionaler Wärme erfuhren und daher nur einen geringen Selbstwert entwickeln konnten. Sie nehmen oft den weniger beachteten Part in der Beziehung ein. Auch Personen, die vielleicht gerade in einer Krise stecken, sich alleine fühlen oder einfach Angst vor dem Alleinsein haben. Diese Personen sind in der Beziehung schließlich eher die, die sich nach der anderen Person richten, ihren Bedürfnissen gerecht werden wollen. Die Person, die eher Tendenzen einer Persönlichkeitsstörung hat, neigt dazu, sich, ihre Bedürfnisse und ihr Wohlergehen über das der anderen Person zu stellen. Die Bedürfnisse der anderen Person rücken in der Partnerschaft nach und nach in den Hintergrund und können irgendwann ganz verschwinden.

Persönlichkeitsstörungen sind treffender als Beziehungsstörungen zu bezeichnen.

Anzeichen einer toxischen Beziehung

Da eine toxische Beziehung keine zu erkennende Erkrankung oder dergleichen ist, gibt es keine allgemeinen “Anzeichen”, auf die man zurückgreifen könnte. Oftmals ist es jedoch so, dass unser nahes Umfeld die Situation schneller und treffender einschätzt und wir selbst die Augen dafür (noch) nicht öffnen können. Diese extremen Anzeichen kommen in einer toxischen Beziehung oft vor:

  1. Unkontrollierbare Stimmungsschwankungen
  2. Gaslighting und Love Bombing
  3. Manipulation
  4. Abwertungen und Vergleiche (Machtdemonstrationen)
  5. Gewalt und Einsamkeit

Eine toxische Beziehung kann auch durch manipulative Dating-Phänomene wie Love Bombing oder Gaslighting entstehen.

Sich selbst reflektieren

Man kann im Zusammenhang mit toxischen Beziehungen nicht von Schuld sprechen. Niemand ist schuld daran, in einer solchen Beziehung zu landen. Was man aber tun kann, ist die eigenen Anteile daran zu reflektieren und sich folgende Fragen zu stellen:

  • Erkenne ich ein Muster in meinen Beziehungen?
  • Aus welchen Gründen binde ich mich an jemanden und entscheide mich für eine Beziehung?
  • Wie bewerte ich Dinge in meiner Beziehung?

In toxischen Beziehungen wird oftmals Leid oder Leidenschaft, die durch die ständigen Aufs und Abs entsteht, mit Liebe verwechselt. Wenn man sich dabei beobachtet, immer wieder in toxische Beziehungen zu geraten, kann es sein, dass bestimmte emotionale Wunden noch nicht geheilt sind.

Diese Wunden können vom Überschreiten eigner Grenzen kommen und eine große unterdrückte Wut in dir auslösen. Wenn du immer über dich hinweggehst, kann es sein, dass du davon krank wirst und selbst eine Depression entwickelst.

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Toxische Beziehung beenden

Eine toxische Beziehung loslassen zu können, ist für viele Menschen eine enorme Herausforderung. Das Gefühl der Abhängigkeit, des Gefühls, nicht ohne einander leben zu können, überwiegt oft.

Der erste Schritt hier ist, sich zu fragen, was man in der Beziehung sucht und ob man das auch bekommt.

Es ist wichtig, sich die eigenen Bedürfnisse bewusst zu machen, bevor man sich um die der anderen Person kümmert. Beide Beziehungspartner*innen sollten die Möglichkeit haben, ihre Gefühle und Wünsche zu kommunizieren, einander zuzuhören und die Wünsche auch miteinander zu verhandeln. Dazu gehört es auch, Grenzen zu setzen, mal nein zu sagen. Wird die*der Partner*in dann aufbrausend, ist es wichtig, nicht in die Defensive zu geraten, sondern ruhig zu bleiben und differenziert zu kommunizieren. Hat man das Gefühl, die*der Partner*in ist nicht genug für einen da, so kann man gezielt lernen, sich selbst zu beruhigen und für sich da zu sein.

Oft ist nach dieser Phase der Reflexion und Erkenntnis der finale Schritt die Trennung, aber es ist auch nicht immer so einfach.

Denn toxische Beziehungen zu beenden kann schwerer sein, als andere Beziehungen zu beenden, Rationalität spielt kaum mehr eine Rolle. Je mehr man fühlt, desto schwieriger ist es, sich aus einer Beziehung zu lösen. Durch das ständige Wechselspiel zwischen den Extremen, lösen toxische Beziehungen oft sehr intensive Emotionen aus. Sowohl gute, als auch schlechte.

Zudem bindet Schmerz, da er das Gefühl erzeugt, schon sehr viel in eine Beziehung investiert zu haben.

Darum sprechen Psychologen nicht von “toxisch”

Auch wenn es zweifelsohne Beziehungen, Menschen oder Verhaltensweisen gibt, die einem nicht gut tun oder gar schaden, so ist die Verwendung des Begriffes “toxisch” dennoch mit Vorsicht zu genießen. Denn “toxisch” ist kein medizinischer oder gar wissenschaftlicher Fachbegriff. Psycholog*innen sprechen eher von dysfunktionalen Beziehungen oder maladaptiven Mustern. Ein toxischer Mensch ist nicht gleich ein schlechter Mensch und eine toxische Beziehung nicht gleich eine schlechte Beziehung. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein Wort, das sich in den letzten Jahren zu einem Trendwort entwickelt hat. Die genaue Bedeutung bleibt dabei jedoch häufig ungeklärt und schwammig.

Auch kritisch an dem Begriff ist, dass er keine Abstufungen zulässt. Etwas oder jemanden also als toxisch zu bezeichnen, ist sehr generalisierend und absolut, was jedoch nicht immer so zutrifft.

Auch wenn klar ist, was der Begriff meint, ist an seiner Verwendung schnell zu erkennen, wie Stigmatisierung entsteht. Manchmal wird der Ausdruck vielleicht zu voreilig verwendet und führt dazu, dass Situationen, Dinge oder Menschen nicht differenziert betrachtet und schnell kategorisiert werden.

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Ein Artikel von

Felicitas Eva Lindner Redakteurin · Journalismus M.A. | Psychologie B.Sc. | Psychologie M.Sc.

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Quellenangaben

  1. Hirt, Svenja Maria (2020). Toxische Beziehung erkennen: loslassen, beenden oder weiterkämpfen? Online verfügbar unter https://www.swr3.de/aktuell/beziehungsshow/toxische-beziehung-erkennen-loslassen-beenden-oder-weiterkmpfen-100.html  [27.05.21].
  2. Hoppe, Nico (2021). Menschen gelten heute als wandelnde Giftschleudern - was das Modewort “toxisch” über unsere Gesellschaft aussagt. Online verfügbar unter https://www.nzz.ch/feuilleton/toxisch-das-wort-zeugt-vom-wunsch-nach-einer-eindeutigen-welt-ld.1614203 [27.05.21].
  3. Ott, Clara (2020). Beide wissen nicht, wie eine gute Bindung funktioniert. Sie haben es nie erfahren. Online verfügbar unter https://baerbel-wardetzki.de/wp-content/uploads/2020/10/Toxische-Beziehungen-Welt.de_.pdf  [01.06.21].
  4. Reiche, Suria (2021). Was toxische Beziehungen bedeuten. Online verfügbar unter https://www.apotheken-umschau.de/weitere-themen/was-toxische-beziehungen-bedeuten-762583.html [27.05.21].
  5. SWR1 (2021). Schmerzhafte Liebe: Wie erkennt an eine toxische Beziehung? Online verfügbar unter https://www.swr.de/swr1/rp/toxische-beziehungen-100.html  [27.05.21].
  6. Senftleben, Ralf (2020). Wie du mit toxischen Menschen entspannt umgehst. Online verfügbar unter https://zeitzuleben.de/toxische-menschen/ [27.05.21].

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