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Dissoziation bis Dissoziative Störung: Was steckt dahinter?

02 Aug 2023 · 14 min lesezeit
von Luisa Lehmann
Dissoziation

Dissoziation und Dissoziative Störung - ist das das Gleiche? Und was ist das überhaupt?
Dissoziation ist nicht immer gleich eine Dissoziative Störung. Es ist ein psychologisches Phänomen, das in verschiedener Stärke und verschiedenen Formen auftritt. Es reicht von dissoziativen Zuständen im Alltag bis hin zu dissoziativen Symptomen bei einigen psychischen Störungsbildern bis hin zu eigenständigen dissoziativen Störungen, bei denen die Dissoziation sehr schwerwiegend ist.
In diesem Artikel erfährst du mehr über die Ausprägungen und Ursprünge des Phänomens Dissoziation.

Dissoziationen können Reaktionen auf psychische Belastungen sein und bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen auftreten. Ob du von einer Depression betroffen sein könntest, kannst du hier mit dem Depressions-Fragebogen PHQ-9 testen.

1.Was bedeutet Dissoziation? 

Die Bedeutung von Dissoziation lässt sich aus dem lateinischen ‘dissociare’ ableiten, was sich mit ‚trennen’ oder ‚scheiden' übersetzen lässt. In der Psychologie bedeutet Dissoziation im weitesten Sinne das Trennen bzw. Auseinanderfallen von psychischen Funktionen

Um es sich etwas konkreter vorstellen zu können, kann es helfen an das Gegenteil von Dissoziation zu denken: Die Assoziation. Darunter können sich viele von uns viel eher etwas vorstellen. Wir assoziieren, wenn wir Gedanken oder Ideen miteinander verknüpfen

Im Gegensatz dazu dissoziieren wir, wenn unsere Gedanken, unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein nicht verknüpft, sondern getrennt voneinander sind. Dissoziation bedeutet also die Trennung bzw. das Auseinanderfallen von psychischen Funktionen. Assoziation bedeutet dagegen die Vereinigung oder Verknüpfung von verschiedenen (psychischen) Inhalten.  

Auch, wenn wir uns unter dem einen erstmal mehr vorstellen können als dem anderen: Beides passiert uns ungefähr genauso häufig. Zumindest in einer schwachen, alltäglich vorkommenden und oft sogar angenehmen Weise, wie wir noch sehen werden. 

Dissoziation Definition 

Unter Dissoziation versteht man also im weitesten Sinne das Auseinanderfallen von psychischen Funktionen. Damit ist gemeint, dass unsere Wahrnehmung, unser Bewusstsein, Denken, Handeln und Fühlen während einer Dissoziation voneinander getrennt sind. Es ist vielleicht erstmal etwas schwer, sich unter so einer Dissoziation-Definition etwas vorzustellen, deswegen kann es helfen, Dissoziation und die damit verbundenen Erlebnisse als ein Spektrum vorzustellen.

Dissoziation ist ein Spektrum 

Dissoziation, das Auseinanderfallen von psychischen Funktionen - das klingt erstmal sehr unangenehm. In Extremformen, schweren dissoziativen Zuständen oder dissoziativen Störungen ist es das auch. Dissoziative Störungen zählen zu den schlimmsten psychischen Erkrankungen, weil die Integration, also das “Zusammensein” der einzelnen psychischen Funktionen nicht mehr gegeben ist. Und zwar nicht für Sekunden oder Minuten, sondern lang andauernd. Vor diesen schweren Dissoziativen Störungen liegt aber noch eine Bandbreite anderer dissoziativer Symptome. 

Leichte Dissoziationen passieren uns fast alltäglich 

Tatsächlich dissoziieren wir fast alltäglich. Auch psychisch vollkommen gesunde Menschen. Die meisten dissoziativen Zustände im Leben nehmen wir sogar als angenehm war.

Eine Person dissoziiert schon dann, wenn sie zum Beispiel “gedankenverloren” Zeit und Raum um sich herum nicht mehr bewusst wahrnimmt, weil sie so vertieft in eine Aufgabe oder Tagträume ist.

Hier spricht man von einer Dissoziation, da in diesen Situationen die eigene Wahrnehmung nicht mit den eigenen Handlungen, dem Denken und Fühlen miteinander verbunden ist.

Was in unserem Kopf passiert und was um uns herum in diesen Momenten passiert ist nicht miteinander verbunden. Wir sind “ganz wo anders”, obwohl unser Körper und unsere physische Wahrnehmung an einem Ort sind, von dem sie selbst genug Reize wahrnehmen und verarbeiten könnten. Stattdessen sind wir in unserem Kopf. 

Wir dissoziieren als Reaktion auf Belastungen 

Unangenehm werden dissoziative Zustände, wenn sie länger andauern oder als Belastungsreaktion auftreten.

Betroffene fühlen sich für Minuten sehr stark der Welt entrückt. Diese dissoziativen Symptome treten häufig bei psychisch belasteten Menschen auf. Die beschriebene “Entrücktheit” von der Welt fühlt sich dann sehr unangenehm an und kann Betroffenen Angst machen. 

Schwere Formen der Dissoziation sind starke Lebenseinschränkungen

Noch unangenehmer ist eine Dissoziation, wenn sie nicht Sekunden bis Minuten oder Stunden, sondern über ein Großteil des Lebens andauert. So schrecklich wie das klingt, ist es für diese Betroffenen einer dissoziativen Identitätsstörung.

Ihre psychischen Funktionen, ihr Denken, ihre Wahrnehmung und ihr Bewusstsein sind vollkommen "fragmentiert", also zerstückelt. Sie nehmen ihre psychischen Funktionen nicht als zusammengehörig wahr. 

Über die weite Bandbreite von Dissoziations-Formen wird sehr gut in dem Psychologie-Podcast “Psycho trifft Coach” in der Folge “Dissoziation. Wenn der Körper und die Psyche blitzartig die Notbremse ziehen” eingegangen. 

2.Was sind dissoziative Symptome? 

Wenn man sieht, auf was für einem breiten Spektrum sich dissoziative Zustände bewegen, merkt man, dass Dissoziation selbst erstmal nicht unbedingt etwas krankhaftes ist.

Eine Dissoziation ist kein eigenes Krankheitsbild, sondern eher die Beschreibung eines Zustands

Dissoziative Symptome nennt man die beschriebenen verschiedene Zustände die man manchmal als “Neben Sich Stehen” und “Sich nicht im Kontakt mit sich selbst Fühlen” beschreiben würde. Wie erwähnt, dissoziieren wir wahrscheinlich mehrmals täglich, ohne dass es besonders belastend für uns ist oder uns bewusst ist. 

Dissoziative Zustände bzw. Dissoziative Symptome treten in schwerer Form aber auch in Situationen auf, die für unsere Psyche stark belastend sind. Verschiedene Stresserfahrungen können dazu führen, dass das Bewusstsein und andere psychische Funktionen wie das Gedächtnis, Identität und Eigen- und Umweltwahrnehmung regelrecht zerstückelt und desintegriert werden.

Dissoziative Zustände als Teil der gesunden Psyche

Wenn man dissoziiert, fallen die psychischen Funktionen auseinander. Die eigene Wahrnehmung wird nicht mit dem Bewusstsein für sich selbst und die Umwelt in Einklang gebracht. Das klingt krank oder nach starker Belastung. Doch auch die gesunde Psyche dissoziiert regelmäßig. 

Das “abdriften” in die eigene Gedankenwelt ist oft der Anfang von einem psychischen Verarbeitungs- oder Kreativprozess. Oft erleben wir diese Zustände als angenehm, manchmal als weniger angenehm.

Beispiele für angenehme dissoziative Zustände im Alltag 

  • Wir fahren Auto und stellen im Nachhinein fest, dass wir uns nicht an den Weg erinnern können, weil wir “mit dem Kopf ganz woanders waren”
  • Immer, wenn wir tagträumen
  • Wenn wir in Gespräche vertieft sind und “ganz vergessen, was um uns herum passiert” 
  • Wenn wir konzentriert ein Buch lesen und nicht bemerken, wie die Zeit verfliegt 
  • Wenn wir uns “im Flow” fühlen, während wir arbeiten 
  • Wenn wir uns nicht mehr erinnern können, ob wir den Herd ausgemacht haben

In all diesen Beispielen richten wir unsere Aufmerksamkeit und unser Bewusstsein nicht ganz auf die Tätigkeit die wir vollziehen. Unser Kopf ist wo anders als unser Körper. Wir nehmen nicht bewusst wahr, was der Körper gerade wahrnimmt, da wir mit Gedanken in einer anderen Welt stecken, wir nicht mit vollem Bewusstsein präsent im Moment sind.

Immer also, wenn unsere Aufmerksamkeit abschweift und wir uns “wie weggetreten fühlen”, kann man von dissoziativen Symptomen sprechen.

In diesen besipielhaften Situationen sind die psychischen Funktionen nicht zusammen integriert. Vielleicht empfinden wir es manchmal als etwas schade, wenn wir uns nicht an die schöne Landschaft während einer Radtour erinnern können, weil wir so in Gedanken vertieft waren, doch oft empfinden wir diese Form von dissoziativen Zuständen als angenehm. Wir sind einfach nicht so fokussiert

Beispiele für unangenehme dissoziative Zustände im Alltag 

Nur, weil dissoziative Zustände auch oft beim gesunden Menschen vorkommen, heißt es nicht, dass sie nicht unangenehm sein können. Es gibt einige Alltagsbeispiele für unangenehme Dissoziationen: 

  • Die Momente, wenn wir uns nach einem anstrengenden Arbeitstag “leer” fühlen
  • Wenn wir nach einer langen Phase der Konzentration wieder im Raum um uns herum ankommen und ein Gefühl der Leere sich breit macht

Wenn auch nur für Sekunden oder Minuten: Auch in diesen Situationen ist unser Denken, Handeln und Fühlen von unserer Wahrnehmung für unser Umfeld getrennt. 

Auch, wenn die beschriebenen dissoziativen Symptome nicht angenehm sind, spricht man hier noch von leichten dissoziativen Symptomen.

Dissoziative Symptome bei psychischen Belastungen 

Genau genommen ist die Psyche in den beschriebenen belastenden Situationen für Sekunden bis Minuten nicht gesund, da man sich eben nicht wohl fühlt. Das Unwohlsein nimmt jedoch ein ganz anderes Ausmaß an, wenn Dissoziative Symptome bei psychisch vorher schon belasteten Personen auftreten.

Bei Depressionen, Angststörungen, aber auch anderen Psychischen Störungen wie Persönlichkeitsstörungen erleben die Betroffenen oft schwere dissoziative Zustände, die länger andauern und ein viel unangenehmeres Identitätsgefühl auslösen.

Derealisation als dissoziatives Symptom 

Das bei einer Dissoziation typische Gefühl, die Umwelt nicht mehr wahrzunehmen, tritt besonders belastend im Zustand der Derealisation auf. Bei einer Derealisation nehmen Betroffene die Umgebung als fremd, unvertraut und abnormal wahr. Für Sekunden oder Minuten fühlen sie sich völlig der Welt entrückt. Während der Zustand bei gesunden Menschen fast unbewusst als Reaktion auf alltägliche Belastungen oder starker Emotionalität auftritt, wird eine Derealisation als unangenehm bis bedrohlich aufgenommen. Die Umgebung, andere Menschen und Objekte werden als verzerrt, unwirklich, stumpf wahrgenommen.

Depersonalisation als dissoziatives Symptom

Während die Derealisation die Störung der Umgebungswahrnehmung meint, bezeichnet die Depersonalisation die Störung der eigenen Selbst- und Körperwahrnehmung. In einer schwachen, alltäglich vorkommenden Weise könnte man Depersonalisation vergleichen mit dem Gefühl des “Neben sich Stehens” und sich nicht im Kontakt mit sich selbst Fühlens. Sie tritt aber ebenso wie die Derealisation bei vielen psychischen Störungen auf (z.B. bei Belastungsreaktionen wie Angst- und Panikzuständen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen).

Depersonalisation und Derealisation sind Ich-Störungen 

Die Gemeinsamkeit von den dissoziativen Symptomen Depersonalisation und Derealisation ist, dass die Betroffenen die Grenze zwischen sich und der Umwelt als gestört wahrnehmen. Sie können sich nicht spüren, nehmen sich für Minuten nicht als Ganzes, als Einheit wahr. 
Diese Störung der Ich-Umwelt-Grenze ist eine Störung des Ich-Erlebens. In der Psychologie spricht man bei diesem Phänomen von Ich-Störungen.

Amensie kann ein dissoziatives Symptom sein

Den Begriff Amnesie verbinden wir mit Vergesslichkeit bzw. etwas nicht erinnern können. Dass das etwas mit Dissoziation zutun hat, erschließt sich vielen uns nicht ganz so schnell. 

Die sogenannte “dissoziative Amnesie” ist ein Erinnerungsverlust bzw. Gedächtnisverlust, dessen Ursache Stress oder Traumata sind. 

Es ist normal, dass wir uns nicht an jedes Detail in unserem Leben erinnern können. Wie oben beschrieben, vergessen wir manchmal, ob wir den Herd wirklich ausgestellt haben, weil wir nicht mit ganzem Bewusstsein bei der Aufgabe waren, als wir sie ausgeführt haben. Genau genommen ist auch das sogar auch eine dissoziative Amnesie, da wir durch eine Dissoziation ein bestimmtes Ereignis in unserem Leben vergessen. 

Normalerweise können wir uns aber an besonders eindrückliche, (im Guten wie im Schlechten) besondere Situationen, erinnern. Wir erinnern uns meist daran, wenn uns jemand körperliche oder emotionale Gewalt zuführt. Oder wenn jemand uns auf eine wunderschöne Weise körperlich oder emotional berührt. Eben weil wir diese Situationen meist ganz bewusst wahrnehmen. Sie berühren uns und wir verarbeiten sie mit dem gesamten psychischen Apparat der unsere Identität bildet. 

Nimmt man Situationen allerdings sehr stressreich bis traumatisierend wahr, neigt der Mensch dazu, diese Situationen gar nicht so bewusst wahrnehmen zu wollen. Es ist schlichtweg zu viel zu verarbeiten für unsere Psyche. 

Solche Situationen können schließlich dazu führen, dass man dissoziiert. Dadurch, dass man in einer Dissoziation, wie oben geschildert, seine psychischen Funktionen und sein Selbst nicht als Einheit erfährt, und dadurch nicht bewusst wahrnimmt, kann es dazu kommen, dass man sich an bestimmte prägende Ereignisse im Leben nicht erinnern kann. 

3. Was sind Dissoziative Störungen? 

Kurz gesagt sind Dissoziative Störungen wie schwere, chronifizierte dissoziative Zustände. Während dissoziative Symptome sowohl bei gesunden, wie psychisch belasteten Menschen als mehr oder weniger lang andauernde Zustände auftreten, bezeichnen Dissoziative Störungen ein ganz eigenes Störungsbild

Menschen, die unter Dissoziativen Störungen leiden, haben einen extrem hohen Leidensdruck, da ihr Identitätsbewusstsein im Prinzip nicht vorhanden ist. Bei dissoziativen Zuständen sind Erinnerungen, Wahrnehmung und Bewusstsein für Momente getrennt. Bei einer Dissoziativen Störung fehlt die Integration dieser psychischen Funktionen über große Zeiträume des Lebens. Sogar die Kontrolle über Körperbewegungen oder Körperempfindungen können fehlen.

Ein Dauerzustand sind die Dissoziativen Störungen aber nicht. Meist “erholen” sich die Betroffenen nach Wochen oder Monaten von der langen Dissoziativen Störung an deren Anfang meist ein traumatisches Ereignis stand. Meist treten sie aber immer wieder auf.

Welche Formen können Dissoziative Störungen annehmen?

Das ICD-10 (Das Internationale Klassifikationssystem für u.a. psychische Erkrankungen) sammelt unter den Dissoziativen Störungen einige verschiedene spezifische Störungsbilder. 

Dissoziative Fugue

Bei einer Dissoziativen Fugue läuft eine Person plötzlich und ziellos weg. Das klingt erstmal nicht besonders. Wichtig bei einer Dissoziativen Fugue ist aber, dass das Weglaufen nicht nur ziel- sondern auch willenlos passiert. 

Für die Person gibt es in dem Moment keinen objektiv identifizierbaren Grund, den Ort zu wechseln. Und dennoch können Betroffene mitunter Tausende von Kilometern über Landesgrenzen hinweg reisen, ohne dazu je einen Willen, oder gar einen Entschluss gefasst zu haben. 

Während dieser eine Dissoziative Fugue kennzeichnenden Flucht tritt bei den Personen eine Dissoziative Amnesie ein, wie sie oben beschrieben wurde. Betroffene können sich also nicht erinnern, weggelaufen zu sein. Nach Stunden bis Tagen oder teilweise sogar Monaten klingt die Fugue meist ab. 

Interessanterweise wirkt das Verhalten der Betroffenen einer Dissoziativen Fugue trotz ihres dissoziativen Zustands auf Außenstehende in der Regel nicht auffällig

Dissoziativer Stupor 

Den Begriff Stupor kennen viele vielleicht aus Harry Potter. Er kommt aus dem Lateinischen und bedeutet “Erstarrung”. Damit ist das wichtigste Element der Störung schon genannt. Im Gegensatz zur Fugue fällt ein Dissoziativer Stupor den umstehenden Menschen in der Regel schnell auf. Statt wegzulaufen, erstarren die Betroffenen.

Die Betroffenen eines Dissoziativen Stupors sind motorisch erstarrt und reagieren nicht auf äußere Reize wie Licht, Berührungen oder Geräusche. 

Multiple Persönlichkeitsstörung/ Dissoziative Identitätsstörung 

Die Dissoziative Identitätsstörung, auch bekannt als Multiple Persönlichkeitsstörung, ist eine der schwersten psychischen Erkrankungen. Die Betroffenen nehmen ihre Identität überhaupt nicht als Einheit wahr, erleben sich “fragmentiert” und als “Viele sein”. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass es mit so einem nicht vorhandenen Identitätsgefühl nahezu unmöglich ist, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen

Die Betroffenen wechseln zwischen verschiedenen Persönlichkeitsanteilen, die nebeneinander im Körper der Betroffenen existieren hin und her. Statt verschiedene Persönlichkeitsfacetten zu besitzen, existieren verschiedene Persönlichkeiten in den Betroffen, die sich durch eigene Interessen, Erinnerungen, Fähigkeiten, aber auch in Geschlecht, Alter und Stimmlage unterscheiden können. 

Bleibt eine Dissoziative Identitätsstörung unbehandelt, leiden die Betroffenen bei jedem Wechsel in eine Teilidentität unter einer Amnesie. Sie können sich also nur an das Erlebte der jeweiligen Teilidentität erinnern. Dadurch fehlen ihnen teilweise Monate bis Jahre an Erinnerungen

Die auf Dissoziative Identitätsstörung spezialisierte Psychotherapeutin Michaela Huber hat der Zeitung Die Zeit die Störung in einem umfassenden Expertinnen-interview erklärt.

4.Ursachen: Warum dissoziiert man überhaupt?

Das ICD-10 fasst die Dissoziativen Störungen unter den Belastungsstörungen. Das deutet schon auf die Ursachen für Dissoziationen hin, egal in welchem Schweregrad. Wie oben schon beschrieben, erfahren gesunde Menschen öfter leichte Dissoziationen aufgrund starker Emotionalität oder Belastungen.

Dissoziation ist oft eine posttraumatische Bewältigungsreaktion 

Schwere dissoziative Zustände und Dissoziative Störungen treten als Reaktion auf besonders starke Belastungen, sehr stressreiche bzw. traumatisierende Ereignisse auf.

Diese pathologischen Dissoziationen sind posttraumatische Bewältigungsreaktionen

Was bei einer Dissoziation schließlich passiert, ist dass Erfahrungen, die besonders überwältigend sind aus dem Bewusstsein ferngehalten werden. Bei einer Dissoziation sind wir nicht präsent im aktuellen Moment, nehmen nicht bewusst wahr, sind uns entfremdet

Damit ist die Dissoziation ein Selbstschutzmechanismus. Je stärker die Belastung ist, umso stärker ist die Reaktion bzw. der dissoziative Zustand.

Die Spaltung der Persönlichkeit ist eine Extremform der Dissoziation

Dissoziative Identitätsstörungen sind Beispiele für besonders starke posttraumatische Belastungsreaktionen. Sie entstehen dadurch, dass Kinder in jungen Jahren (ca. 3.-5. Lebensjahr) so überwältigenden Stress- und Gewalterfahrungen ausgesetzt sind, dass sie dissoziieren um überhaupt zu überleben

Die Kinder dissoziieren in den traumatischen Situationen, um die Erfahrung aus ihrem Bewusstsein fern zu halten. Ihr Gehirn spaltet die Erfahrung wortwörtlich ab, um das weitere Funktionieren überhaupt zu ermöglichen

Werden Kinder früh, wiederholt und langjährig diesen extremen Stresserfahrungen ausgesetzt, gehen diese Dissoziationserfahrungen in die Struktur der Persönlichkeit über. Sie spalten so oft, dass keine integrierte Persönlichkeit mit eigenen Erfahrungen, Erinnerungen und Bewusstsein heranwächst. Ihre Persönlichkeit wächst nie zusammen und mehrere Persönlichkeitsanteile existieren nebeneinander. Eine Dissoziative Identitätsstruktur entsteht. 

Wie geht es Betroffenen von Dissoziativen Störungen? 

Die Dissoziations-Forschung ist ein noch relativ neues Feld. Deswegen finden Dissoziative Störungen in der Ausbildung von Psychotherapeut*innen leider noch nicht viel Beachtung und wenige Therapeut*innen spezialisieren sich auf dieses Gebiet. 

Dabei ist eine Therapie bei Betroffenen von Dissoziativen Störungen unausweichlich um ihnen eine verbesserte Lebensqualität zu ermöglichen. 

Tipps zum Einlesen 

Eine der führenden Forscher*innen auf dem Feld der Dissoziativen Störungen ist die Psychotherapeutin Michaela Huber. Sie forscht seit Jahrzehnten zu den Traumafolgestörungen, insbesondere zu Dissoziativen Identitätsstörungen.

  1. Michaela Huber: Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung (Teil 1&2) 
  2. Michaela Huber: Aus vielen Ichs ein Selbst?: Trauma, Dissoziation und Identität Taschenbuch

Erfahrungsberichte von Betroffenen 

Obwohl Dissoziative Störungen verglichen zu Depressionen oder Angststörungen noch relativ wenig beforscht sind, wirken sie so faszinierend auf Menschen wie kaum eine andere psychische Störung. 

Auf YouTube findet man viele Erfahrungsberichte von Betroffenen Dissoziativer Identitätsstörungen und andere Dissoziativer Störungen. 

Hier ist ein besonders empfehlenswerter Beitrag der Ze.tt Redaktion, in dem verschiedene Betroffene einer Dissoziativen Identitätsstörung von ihren Erfahrungen berichten:

Ein Artikel von

Luisa Lehmann Redakteurin · B.Sc. Psychologie

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Quellenangaben

  1. Gumhalter, P.. Wörterbuch der Psychotherapie, edited by M. Voracek, et al., Springer Wien, 2007.
  2. Vogel, M. (2011). Dissoziation: Tradition, bedeutung und wesen eines psychischen phänomens = Dissociation Tradition, significance and nature of a psychological phenomenon. Psychotherapeut, 56(4), 345–357.
  3. Photo by Joshua Fuller on Unsplash: https://unsplash.com/photos/ZWZDQVpmfIY?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditShareLink

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