Zurück 08 Sep 2021 · 7 min lesezeit
von Felicitas Eva Lindner

Generation Bindungsangst. Immer wieder hört, liest oder sieht man diese Bezeichnung im Zusammenhang mit den so genannten Millennials oder der Generation Y, oder genauer: allen, die zwischen 1980 und den späten 1990ern geboren sind. Doch was zeichnet Menschen mit Bindungsangst eigentlich aus und was genau sind Bindungsängste?

Mach hier den wissenschaftlich fundierten Selbsttest und finde heraus, ob du Anzeichen für eine Angststörung zeigst.

Was ist Bindungsangst?

Woher kommt diese Begrifflichkeit, Generation beziehungsunfähig? Tatsächlich ist die Zahl der Menschen in Deutschland, die als überzeugte Singles leben, im Jahr 2021 (5,01 Mio.) höher, als zum Beispiel noch 2017 (4,60 Mio.). Nicht erst seit Michael Nasts gleichnamigem Buch geistert der Begriff durch sämtliche Medien. Aber was ist wirklich dran und was zeichnet Beziehungsunfähigkeit tatsächlich aus? Kann man wirklich beziehungsunfähig sein? Als wissenschaftlichen Fachbegriff gibt es das Wort “beziehungsunfähig” nicht. Man spricht in der Psychologie eher von verschiedenen Bindungstypen und in diesem Zusammenhang von einem unsicheren Bindungstypen oder Bindungsangst. Das bedeutet, manche Menschen haben mehr Angst davor sich zu binden und eine feste Beziehung einzugehen als andere. Diese Menschen leiden somit unter Bindungsangst und gehören dem unsicheren Bindungstypen an.

Wie entsteht Bindungsangst?

Bindung bezeichnet in der Psychologie eine emotionale Beziehung zwischen zwei Menschen. Die Psychologin Mary Ainsworth und der Psychoanalytiker John Bowlby unterscheiden vier unterschiedliche Bindungstypen: Sicher, vermeidend und unsicher-vermeidend und desorganisiert oder desorientiert. Das Bindungsmuster entwickelt sich meist in der frühen Kindheit und im Jugendalter und hängt mit der frühkindlichen Bindung zu engen Bezugspersonen, wie zum Beispiel den Eltern, zusammen. Ganz explizit meint Bindungsverhalten in diesem Alter das Nähe oder Kontaktsuchen zu einer relevanten Bezugsperson. Außerdem gehen Verhaltensweisen wie Unwohlsein, Schmerz oder Angst vor Distanz zu der jeweiligen Bezugsperson einher. Diese zeigen sich dann wiederum in der Kontaktsuche. Innerhalb des ersten Lebensjahres eines Kindes beginnt das Kind dann innere Modelle zwischenmenschliche Beziehungen zu entwickeln. Entscheidend für diese Entwicklung sind das Feingefühl der Bezugspersonen, aber auch Raum für Entfaltung und Autonomie ausschlaggebend.

Die Bindungstheorie geht also davon aus, dass Bindungsangst unter anderem in der Kindheit entsteht. Traumatische Ereignisse wie zum Beispiel die Trennung der Eltern können Bindungsangst verstärken. Es kann auch sein, dass man früh damit konfrontiert war, nur dann Liebe zu bekommen, wenn man bestimmte Wünsche und Bedürfnisse von anderen Menschen erfüllt. Diese Erfahrung prägt Bindungsangst. Aber auch spätere Erfahrungen wie eine eigene Trennung, Liebeskummer oder andere Beziehungserfahrungen haben einen Einfluss auf die Entwicklung von Bindungsangst.

Welche Bindungstypen gibt es?

Die vier Bindungstypen sind meist über die Lebenszeit stabil. Wenn sie in der Kindheit entwickelt wurden, festigen sie sich und prägen die Beziehungen im Erwachsenenalter. Dennoch sind die Bindungstypen nicht unveränderbar. Sie können sich durch neue Erfahrungen durchaus verändern, sowohl positiv als auch negativ.

  • sicher

Personen mit einem sicheren Bindungsstil haben in ihrer frühen Kindheit viel Feingefühl von ihren Bezugspersonen vermittelt bekommen. Daher fühlen sie sich sicher in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen und führen meist vertrauensvolle und intensive Beziehungen. Sichere Bindungstypen zeichnet aus, dass sie sich auch alleine wohlfühlen, eigene Fehler reflektieren können und dass sie andere Menschen als Ressource sehen.

  • unsicher-ambivalent

Menschen mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil leiden oft unter einem niedrigen Selbstbewusstsein und haben oft Angst davor, dass ihre Partner*innen das Interesse an ihnen verlieren könnten. Sie haben oft negative Bindungserfahrungen in der Kindheit gemacht und daher ist die Angst davor, nicht geliebt zu werden oder nicht auszureichen tief in ihnen verwurzelt und daher fühlen sich diese Personen oft emotional abhängig von ihren Partner*innen.

  • unsicher-vermeidend

Der unsicher-vermeidende Bindungsstil ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sowohl starke Emotionen als auch Konfliktsituationen großteils vermieden werden. Menschen mit diesem Bindungsstil neigen dazu, Wertschätzung eher aus Leistung zu ziehen und schätzen Unabhängigkeit enorm. Sie sind sich oft nicht sicher, ob andere Menschen sie mögen. 

  • unsicher-desorientiert

Personen, deren Bindungsstil unsicher-desorientiert ist, wechseln in ihren Beziehungen oft zwischen verschiedenen Verhaltensweisen hin und her. In der Kindheit haben sie oft Traumata oder Verlust erlebt. Das wirkt sich auf spätere Beziehungen im Erwachsenenalter aus und drückt sich auf der einen Seite durch das übermäßige Suchen von Nähe, auf der anderen Seite durch das Zurückziehen und die Wahrung von Distanz aus. 

Bindungsangst bedeutet in der Regel nicht, dass man keine Gefühle für die andere Person empfindet. Oftmals wünschen sich Betroffene sogar eine Partnerschaft.

Was sind Symptome von Bindungsangst?

Bindungsangst kann sich auf ganz viele verschiedene Arten äußern. Die Symptome von Menschen, die unter Beziehungsangst leiden sind sehr verschieden und zum Teil auch ambivalent. Es kommt oft vor, dass Menschen mit Bindungsangst Schwierigkeiten haben, sich überhaupt auf eine Partnerschaft einzulassen. Oft bleiben sie lieber allein oder führen oberflächliche Affären. Es kann auch vorkommen, dass Personen mit Bindungsangst weniger oder oberflächliche Freundschaften führen. Auch hier besteht Angst vor Nähe und zu enger Bindung. Dennoch kommt es häufig vor, dass auch Personen mit Beziehungsangst ernstere Beziehungen eingehen. Symptome von Bindungsangst können dann sein:

  • Vermeiden von körperlicher Nähe
  • häufiges Initiieren von grundlosen Streits
  • keine gemeinsamen Ziele formulieren und planen wollen
  • plötzliche Trennung

Bindungsangst bedeutet in der Regel nicht, dass man keine Gefühle für die andere Person empfindet. Oftmals wünschen sich Betroffene sogar eine Partnerschaft. Das Nicht- oder nur oberflächliche Eingehen von Beziehungen fungiert hier eher als eine Art Selbstschutz und als Schutz vor Zurückweisung und Enttäuschung.

Bindungsangst bei der Frau

Bindungsangst kann sich bei Frauen und Männern auf ganz unterschiedliche Arten äußern. Bindungsangst bei der Frau bedeutet meist nicht, dass sie keine Beziehung eingehen möchte, viele betroffene Frauen wünschen sich sogar eine Partnerschaft. In vielen Fällen führt ihr Verhalten aber eher dazu, dass eine Partnerschaft vermieden wird. So kann Beziehungsangst bei Frauen aussehen:

  • hohe Ansprüche bei der Partnerwahl
  • dauerhafte getrennte Wohnungen
  • ambivalentes Verhalten: z.B. plötzliche Trennung und kurz danach zurückkommen
  • Wählen von unerreichbaren Partnern (z.B. Partnern in festen Beziehungen, große räumliche Distanz oder Partner, die sehr viel arbeiten)

Bindungsangst beim Mann

Auch wenn die Symptome von Bindungsangst bei Männern und Frauen sich ähneln können, gibt es doch ein paar Unterschiede. Männern wird oft unterstellt, freiheitsliebend zu sein und daher keine feste Partnerschaft eingehen zu wollen. Doch auch bei ihnen liegt Bindungsangst eher daran, Angst davor zu haben verletzt zu werden. So kann sich Bindungsangst bei Männern äußern:

  • kein Übernehmen von Verantwortung
  • viele Affären oder mittelmäßig glückliche Beziehungen, aber keine intensiven und langen Beziehungen
  • Denken, “die Eine” einfach noch nicht gefunden zu haben

Wie kann man Bindungsangst überwinden?

Bindungs- und Beziehungsangst kann man durchaus besiegen. Niemand ist grundsätzlich beziehungsunfähig. Dein Bindungstyp kann aber durchaus auch ein Hinweis auf dein Beziehungsverhalten sein und das Eingehen von Beziehungen vielleicht ein bisschen schwieriger oder leichter für dich machen. Hilfe bei Beziehungsangst kann zum Beispiel eine Therapie bieten. 

  • Gestehe dir deine Angst ein

Im ersten Schritt ist es für eine Person, die von Beziehungsangst betroffen ist, wichtig, sich das auch einzugestehen. Das kann oft ein schwieriger Schritt sein, da Menschen mit Bindungsangst sich häufig eine Partnerschaft wünschen.

  • Sprich mit jemandem

Oft kann Bindungsangst durch eine Therapie oder sogar eine Paartherapie gemindert werden. Es kann helfen, über die Ängste zu sprechen, zu verstehen woher sie kommen und wie man ihnen effektiv begegnen kann.

  • Versuche, dein Selbstbewusstsein zu stärken

Oft sind negative Erfahrungen mit Nähe oder Enttäuschungen in Beziehungen der Grund für Bindungsangst. Menschen mit Beziehungsangst neigen dazu, ihr Wohlbefinden von der Zuneigung ihrer Partner*innen abhängig zu machen. Lerne, dein Selbstbewusstsein zu stärken, um auch ohne das Zutun einer*s Partner*in deinen Wert zu erkennen.

 Partner*in mit Bindungsangst: Was tun?

Wenn du das Gefühl hast, dass dein*e Partner*in unter Bindungsangst leidet, gibt es ein paar Dinge, die du tun kannst.

  • Du bist nicht schuld!

Mach dir bewusst, dass es nicht deine Schuld ist, wenn dein*e Partner*in Angst davor hat, sich auf eine Bindung einzulassen. Die Ursache dafür kommt viel eher aus früher gemachten Erfahrungen und hat nichts mit deinem Verhalten oder deiner Persönlichkeit zu tun.

  • Zeige Verständnis

Versuche mit deiner*m Parnter*in über ihre*seine Ängste zu sprechen. Hör ihr*ihm zu und zeige, dass du da bist und nicht weggehst. Gib deiner*m Parter*in das Gefühl von Sicherheit und versuche zu vermitteln, dass er*sie sich auf dich verlassen kann.

  • Distanz einhalten

Wenn dein*e Partner*in Distanz wünscht, halte sie ein. Das ist nicht nur für die andere Person wichtig, sondern auch für dich. Versuch, dich auf dich zu konzentrieren. Dennoch sollte der Kontakt nicht abgebrochen und nach wie vor auf das Vermitteln von Sicherheit geachtet werden.


In Beziehungen ist die notwendige Selbstreflexion oft gar nicht so leicht, insbesondere dann, wenn schon früh traumatische Erfahrungen gemacht wurden und Ängste sehr tief sitzen. Dennoch sind Einsicht und das Bewusstmachen der eigenen Angst ein wichtiger Schritt, um Beziehungsangst zu überwinden.

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Ein Artikel von

Felicitas Eva Lindner Redakteurin · Journalismus M.A. | Psychologie B.Sc. | Psychologie M.Sc.

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Quellenangaben

  1. Howe, D. (2015). Bindung über die Lebensspanne: Grundlagen und Konzept der Bindungstheorie. Junfermann Verlag GmbH.
  2. markt.de (o.J.). Mein Partner hat Bindungsangst, was kann ich tun? Online verfügbar unter https://www.markt.de/ratgeber/beziehungstipps/mein-partner-hat-bindungsangst/  [08.09.21].
  3. statista.com (2021). Anzahl der Personen in Deutschland, die als überzeugter Single leben, von 2017 bis 2021. Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/173640/umfrage/lebenseinstellung-single-aus-ueberzeugung/  [30.08.21].
  4. Wolf, Doris (2021). Angst vor engen Bindungen - ihre Ursachen. Online verfügbar unter https://www.palverlag.de/bindungsangst.html [30.08.21].

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