Zurück 09 Aug 2023 · 7 min lesezeit
von Hanna Eggebrecht
Angst vir Spritzen überwinden

Der Gang zum Zahnarzt ist bei vielen Menschen nicht gerade beliebt. Allerdings geraten manche Personen dabei so sehr in Panik, dass sie sogar in Ohnmacht fallen können. Besonders das Blutabnehmen oder die (Corona) Impfung meidet eine spezielle Gruppe von Menschen bewusst: Betroffene leiden an einer Trypanophobie. Was populär unter “Angst vor Nadeln” oder “Spritzenangst” bekannt ist, kennen rund 3% der Bevölkerung nicht nur aus dem Dornröschen Märchen. 

Übrigens kommt der Fachbegriff “Trypanophobie” aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie “Furcht vor dem Bohrer”. Heute versteht man darunter die phobische Angst vor einer InjektionIn diesem Video erklärt der Psychiater und Experte für Angststörungen Prof. Borwin Bandelow kurz die wichtigsten Informationen zu Trypanophobie und wie Betroffene die Angst vor Corona Impfung, Angst vor Spritzen oder generelle Impfangst überwinden können.

Angst vor Impfung und Nadel-Tipps

  • Angewandte Anspannung nach Öst

Bei dieser Technik werden vor einer Injektion oder Impfung im Rhythmus des Pulsschlages die Muskeln des nicht-betroffenen Armes und der Beine angespannt. Das funktioniert ähnlich wie das "Pumpen" beim Blutabnehmen. Dadurch sinkt der Blutdruck nicht schlagartig und man fällt im besten Fall nicht in Ohnmacht. Man kann diese Technik davor, währenddessen und nach dem Arztbesuch anwenden. Übrigens: Wer bewusste Muskelan- und entspannung üben möchte, kann auch PMR (Progressive Muskelrelaxation) ausprobieren. 

  • Achtsamkeitsübungen

Hierbei handelt es sich in erster Linie um eine Empfehlung, die langfristig wirkt und auch in der Therapie zum Einsatz kommt. Wer Achtsamkeit trainiert erkennt dysfunktionale kognitive Muster und Trigger bei sich selbst früher und kann entsprechend reagieren. Meditation ist ein oft empfohlenes Werkzeug, das dabei helfen kann, Achtsamkeit zu üben. 

  • Ärztliche Fachperson einweihen & Begleitperson mitnehmen

Klingt schwerer als es ist: auch wenn man sich schämt oder nicht traut die eigenen Ängste offen anzusprechen, ist dies das beste Mittel in der brenzligen Situation. Jede*r gut ausgebildete Mediziner*in weiß von solchen Ängsten und kann unterstützen. Wer zu Ohnmacht beim Blutabnehmen neigt, wird dann einfach im Liegen behandelt. Auch wenn die Impfung Angst bereitet, ist das möglich. Wer es schafft, sich auf die behandelnde Person zu konzentrieren, kann sich mit deren Hilfe gut ablenken lassen und die Untersuchung ist schneller vorbei als man Piks sagen kann. Auch eine Begleitperson zum Termin mitzunehmen kann helfen.

  • Geheimtipp: Ablenkung durch Musik!

Wer sich Kopfhörer mit zum Termin nimmt und einfach seine Lieblingsmusik im entscheidenden Moment laut anmacht, ist meist so abgelenkt von der eigentlichen Situation, dass es möglich ist, ihr gänzlich zu entfliehen. Das liegt daran, dass weniger Kapazität für sorgenvolle Gedanken vorhanden ist, wenn sich das Gehirn mit Musik (oder anderen Ablenkungen) beschäftigt.

Diese Tipps gelten hauptsächlich für Erwachsene. Wenn Kinder vor dem Blutabnehmen oder Impfen Angst haben und sich vehement wehren, hilft meist schon die simple Aufklärung vorab. Das bedeutet, dass Eltern sich kurz Zeit nehmen und alle Fragen vorher klären sollten. Wenn das Kind weiß, was es erwartet und dass es nicht ungefragt überrumpelt wird, meistert es die Situation oft tapfer. Eine kleine Belohnung im Anschluss halten Kinderarztpraxen und Zahnärzte*ärztinnen manchmal am Empfangstresen bereit. 

Panik vor Impfung: Wie man Trypanophobie erkennt

Viele Patient*innen zeigen Einzelsymptome wie 

  • Herzklopfen/ Herzrasen
  • Schwächegefühl/ Schwindel
  • Atemnot
  • Schweißausbrüche oder
  • in Ohnmacht fallen (vasovagale Synkope)

gemeinsam mit sekundären Ängsten 

  • vor dem Sterben
  • Kontrollverlust oder 
  • dem Gefühl, wahnsinnig zu werden. 

Die Trypanophobie zählt mit dem ICD-Code F40.2 zu den spezifischen (isolierten) Phobien. Betroffene haben also eine Phobie, die sich auf eng umschriebene Situationen bzw. in diesem Fall auf den Anblick von Blut oder Verletzungen beschränkt. Obwohl die Situationen der Angst sehr speziell und eng eingegrenzt sind, lösen sie in den meisten Fällen Panikzustände wie bei Agoraphobie oder sozialer Phobie aus. Bei Phobien im generellen Sinn wird Angst ausschließlich oder überwiegend durch eindeutig definierte, objektiv ungefährliche Situationen hervorgerufen. Betroffene vermeiden dann meist die Objekte oder Orte und Situationen, in denen die Angst aufkommt. Bei der sogenannten Erwartungsangst, also allein der Vorstellung, dass es eine Impfung oder Blutabnahme geben wird, geraten Betroffene in symptomatische Zustände. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass sie eine Impfung umgehen, obwohl diese eigentlich wichtig wäre.

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Phobische Angst tritt oft neben Depressionen auf. Ob eine Komorbidität vorliegt, richtet sich nach dem zeitlichen Verlauf beider Erkrankungen und nach therapeutischen Erwägungen zum Zeitpunkt der Konsultation.

Die Diagnose von einer fachärztlichen oder psychotherapeutischen Person grenzt auch ab, ob jemand wirklich an einer Trypanophobie leidet oder viel mehr eine Angst vor Impfschaden oder Angst vor Impfnebenwirkungen besteht. Um die Impfangst überwinden zu können ist oft schon Aufklärung ausreichend.

Trypanophobie: Test

Wer erste Hinweise erhalten möchte, ob eine spezifische Phobie bei ihm*ihr vorliegen könnte, kann den folgenden Auszug aus dem sog. “Angstfragebogen” nutzen. Achtung: Dieser Fragebogen dient nur der Selbsteinschätzung. Er kann und soll keine fachliche Diagnose ersetzen. 

Angst vor Spritzen überwinden
Jürgen Hoyer, Jürgen Margraf: Angstdiagnostik: Grundlagen und Testverfahren. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-642-18976-0
  • Hat eine dieser Ängste Monate oder gar Jahre angedauert?
  • Haben Sie mit einem Arzt*einer Ärztin über diese Ängste gesprochen?
  • Haben Sie wegen dieser Angst Medikamente genommen?
  • Hat diese Angst oder das Vermeiden dieser Situation wesentlich in Ihr normales Leben eingegriffen?
  • Hat diese Angst Sie jemals sehr belastet?
  • Hat die Angst Sie jemals daran gehindert, eine berufliche Aufgabe zu bewältigen, neue Verantwortlichkeiten an Ihrem Arbeitsplatz zu übernehmen oder eine neue Stelle anzutreten?
  • Hat die Angst Sie jemals daran gehindert, zu einer Feier oder einer sonstigen gesellschaftlichen Veranstaltung zu gehen?
  • Wenn Sie sich in einer Angstsituation befanden oder wenn Sie an eine solche Situation dachten, wurden Sie da fast immer nervös oder "panisch"? Schwitzten Sie? Hatten Sie Herzklopfen? Waren Sie kurzatmig?

Je öfter Fragen mit “Ja” beantwortet wurden, desto wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer spezifischen Phobie. Achtung: Eine Diagnose kann nur von einer qualifizierten medizinischen Fachperson oder von einem*einer Psychotherapeut*in gestellt werden. 

Ich habe Angst vor Spritzen- was tun? - Therapie

Wenn sich zum Beispiel die Angst vorm Impfen bis ins Unermessliche steigert, berichten Betroffene meist von dem Gefühl gleich sterben zu müssen oder der Erwartung, dass “etwas ganz Schlimmes” passiert. Je nach Beeinträchtigung im Alltag und im Umgang mit anderen Menschen kann eine Therapie ratsam sein.

Das Max Planck Institut für Psychiatrie in München bietet seit letztem Jahr eine Kurzzeittherapie mit nur sechs Sitzungen ab 18 Jahren für Betroffene mit einer Phobie vor Spritze, Nadel und Co. an. Wer nicht in München wohnt, muss natürlich nicht auf Hilfe verzichten, sondern kann sich an jede*n andere*n qualifizierte*n verhaltenstherapeutische Psychotherapeut*in wenden. Die Kurztherapie wird von den Krankenkassen in der Regel übernommen und scheint sehr hilfreich zu sein, da 90% der Teilnehmer*innen die Therapie mit einer durchgeführten Impfung oder Blutabnahme verlassen. 

In der Psychotherapie ist die sogenannte “Exposition in vivo”, also die Konfrontation, das am besten helfende Mittel. Schritt für Schritt setzt man sich der Angst aus, um den Körper langsam an das Stresslevel zu gewöhnen. Bei jedem weiteren Schritt der ausgehalten wird, ist der Körper mehr an die Reaktion angepasst und kann mit der Angst umgehen. Dieses Verfahren ist so hilfreich, weil Menschen, die mit starken Ängsten kämpfen, meistens Vermeidungsverhalten an den Tag legen. Das Vermeiden der beängstigenden Situationen oder Objekte ist allerdings nur kurzfristig hilfreich, weil man der Angst langfristig gesehen nur aus dem Weg geht, sich ihr aber nie stellt. Die Konfrontation arbeitet gegen dieses Verhalten an. Mittlerweile wurde sogar schon Virtual Reality zum Einsatz in der Therapie entwickelt und die Spritze wird digital simuliert (mit einer Brille oder ähnlichem).

Manchmal helfen auch Beruhigungsmittel, die ca. 20 Minuten vorher eingenommen werden die Situation erträglicher zu machen und bspw. die Angst vor Impfung überwinden zu können.

Schon gewusst? Fremdwörter für Phobien

Die Trypanophobie schließt genau genommen nur die Angst vor der eigentlichen Injektion ein. Die Angst vor spitzen oder scharfen Gegenständen heißt aber Aichmophobie. Hier folgt eine kleine Liste mit den korrekten Fremdwörtern für Trypano-ähnliche-Phobien:

  • Dentophobie = Angst vor Zahnbehandlung/ Zahnbehandlungsphobie
  • Aichmophobie = Angst vor spitzen oder scharfen Gegenständen (auch Trypanophobie)
  • Hämatophobie = Angst vor Blut/ Blutphobie
  • Phobophobie = Angst vor der Angst (Angstsensitivität)
  • Vaccinophobie = Angst vor Impfungen

Ein Artikel von

Hanna Eggebrecht Redakteurin · B.Sc. Psychologie | M.Sc. Psychotherapie

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Quellenangaben

  1. https://blog.hf.uni-koeln.de/angstambulanz/blut-verletzungs-und-spritzenphobie-beschwerdebild/ (Zugriff: 11.04.22)
  2. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-18976-0_13 (Zugriff: 11.04.22)
  3. https://psycnet.apa.org/record/1987-25973-001 (Zugriff: 11.04.22)
  4. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-028l_S3_Behandlung-von-Angststoerungen_2021-06.pdf (Zugriff: 11.04.22)
  5. https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/trypanophobie-panische-angst-vor-der-spritze (Zugriff: 11.04.22)
  6. John G. Robertson: An excess of phobias and manias: a compilation of anxieties, obsessions, and compulsions that push many over the edge of sanity, Senior Scribe Publications, 2003, ISBN 0-9630919-2-1
  7. Kurzzeitinterventionsprogramm Spritzenphobie in München: https://www.psych.mpg.de/2738400/kurzzeitinterventionsprogramm_spritzenphobie.pdf
  8.  „Ratgeber Angst, Was Sie schon immer über Angst wissen wollten“ (Wittchen, H.-U., Verlag S. Karger, Basel, 1993)
  9. https://www.meinwegausderangst.de/f40-2/

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