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Somatoforme Störung – Körper und Geist gehören zusammen

18 Mar 2022 · 7 min lesezeit
von Volker Budinger

 Somatoforme Störungen, damit bezeichnen Mediziner:innen ein weites Feld nur scheinbar körperlicher Probleme, die aber eigentlich psychischen Ursprungs sind. Welche Ursachen Somatoforme Störungen haben, was sie kennzeichnet und welche Therapien es gibt, liest du hier.

Viele kennen das Gefühl, wenn ein unangenehmes Ereignis sprichwörtlich auf den Magen schlägt. Doch wie kann uns etwas den Magen verderben, was nicht unmittelbar mit dem Magen zusammenhängt? Expert:innen sprechen dann von Psychosomatik oder genauer von „Somatoformen Störungen“. Diese umfassen eine ganze Reihe von Krankheiten, die vor allem dadurch gekennzeichnet sind, dass die Patienten unter körperlichen Beschwerden leiden, die aber keine konkrete organische Ursache haben. Welche Formen gibt es? Was liegt ihnen zugrunde? Und wo findest du als Betroffene:r Hilfe?

Was sind Somatoforme Störungen?

Beginnen wir mit der Frage „Was bedeutet somatisch?“. Das heißt, dass sich etwas auf den Körper bezieht. Somatisch bedeutet „körperlich“, aus dem griechischen Soma = Körper. Wenn Stress oder eine andere Form der psychischen Belastung somatische, also körperliche Beschwerden hervorrufen kann, ohne dass eine organische Ursache vorliegt, muss doch mehr dahinterstecken – dann ist häufig von einer psychosomatischen Erkrankung oder Störung die Rede. Ein weiterer Begriff lautet Somatoforme Störung. Mediziner:innen sprechen auch von einer Somatisierung.

Der Bereich der Psychosomatik beschäftigt sich dementsprechend mit dem Einfluss der Psyche auf unseren Organismus. Denn den Symptomen der Somatischen Störung liegen ja eigentlich psychische Probleme zugrunde.

Nicht selten suchen Menschen, die körperliches Leiden verspüren, Fachärzt:innen auf, die jedoch keine organische Ursache für die Symptome finden können. Das sogenannte Arzt:innen-Hopping, bei dem ein:e Arzt:Ärztin nach dem:der nächsten aufgesucht wird, bleibt jedoch meist erfolglos. Dadurch fühlen die Betroffenen sich oft nicht ernst genommen und verzweifeln an ihrem langwierigen Leidensweg.

Die meisten Patient:innen bleibe davon überzeugt, dass ihre Beschwerden eine körperliche Ursache haben. So fällt es ihnen schwer zu akzeptieren, dass mit ihrem Körper alles in Ordnung ist, da die psychische Belastung so weit verdrängt wurde, dass sie den Betroffenen nicht mehr bewusst ist.

Kennzeichnend für das Krankheitsbild sind in manchen Fällen immer wiederkehrende körperliche Schmerzen oder Beschwerden, bei denen organische Ursachen nachweislich auszuschließen sind. 

Allerdings umfasst der Oberbegriff Somatoforme Störungen nach dem Klassifikationssystem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehrere verschiedene Syndrome, die sich in ihren Symptomen unterscheiden.

  • Somatisierungsstörung (ICD-10 Code F45.0)

Diese Diagnose stellen Mediziner:innen, wenn die Patienten über mehrere (mindestens sechs) körperliche Symptome wie etwa Bauchschmerzen, Brustschmerzen, Harnverhalt oder Kribbeln klagen, die aber keine feststellbare organische Ursache haben und über mehr als zwei Jahre anhalten. Typisch sind häufige Besuche bei Ärzt:innen.

  • Undifferenzierte Somatisierungsstörung (ICD-10 Code F45.1)

Diese Störung wird diagnostiziert, wenn weniger Symptome vorliegen, die erst weniger lang anhalten (mindestens sechs Monate) und die Betroffenen auch weniger häufig Ärzt:innen aufsuchen. 

  • Hypochondrische Störung (ICD-10 Code F45.2)

Bei diesem Komplex sind es weniger die empfundenen körperlichen Störungen, sondern vielmehr die lang anhaltenden (mindestens sechs Monate) feste Überzeugung der Patient:innen, an einer bestimmten schweren körperlichen Erkrankung zu leiden – entgegen aller objektiven Befunde der Ärzt:innen.

  • Somatoforme autonome Funktionsstörung (ICD-10 Code F45.3)

Dieser Symptom-Komplex ist noch einmal abgegrenzt und umfasst körperliche Störungen ohne organische Ursache, die mit dem vegetativen Nervensystem in Zusammenhang gebracht werden können. Das vegetative oder autonome Nervensystem steuert mit dem Sympathikus und Parasympathikus besonders Stressreaktionen (und deren Drosselung), etwa den Herzschlag, die Atmung, die Regulation der Verdauungsorgane. Es liegt aber entsprechend keine organische Nervensystem-Störung vor. Beispiele sind Herzklopfen, Schweißausbrüche, Druck in der Magengegend.

Den betroffenen Organen nach gibt es Unterteilungen des ICD-10-Codes. Das zeigt deutlich, welche Körperregionen betroffen sein können:

  • Herz und Kreislaufsystem F45.30
  • Oberes Verdauungssystem F45.31
  • Unteres Verdauungssystem F45.32
  • Atmungssystem F45.33
  • Urogenitalsystem F45.34
  • mehrere Organe und Systeme F45.37
  • sonstige Organe und Systeme F45.38
  • nicht näher bezeichnetes Organ oder System F45.39
  • Anhaltende Schmerzstörung (F45.4)

Diese umfasst allgemeine schwere oder belastenden Schmerzzustände über mindestens sechs Monate an einzelnen Körperteilen oder -regionen. Es wird unterschieden nach

  • Anhaltende Somatoforme Schmerzstörung (F45.40)

Hierbei findet sich keine organische Ursache. Beispiele sind etwa anhaltende unspezifische Kopfschmerzen.

  • Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41)

In dem Fall gibt es eine körperliche – physiologische – Ursache. Allerdings verstärken psychische Faktoren die Schmerzwahrnehmung.

  • Sonstige Somatoforme Störungen (F45.8)

Diese umfassen nach der Definition „alle anderen Störungen der Wahrnehmung, der Körperfunktion und des Krankheitsverhaltens, die nicht durch das vegetative Nervensystem vermittelt werden, die auf spezifische Teile oder Systeme des Körpers begrenzt sind und mit belastenden Ereignissen oder Problemen eng in Verbindung stehen“.

  • Nicht näher bezeichnete Somatoforme Störung (F45.9)

Das sind alle anderen körperlichen Störungen, die keine organische Ursache haben und nicht in die anderen Einteilungen passen. Beispielsweise Scheinschwangerschaften, die mit allen körperlichen Anzeichen einhergehen können, zählen unter diese Einteilung.

Die ICD-10-Codes finden sich übrigens auch als sogenannte Diagnoseschlüssel unter anderem auf dem Krankenschein. Findet sich hinter den Codes noch ein „g“, bedeutet dies „gesicherte Diagnose“.

Da die Patient:innen nicht simulieren – was ihnen allerdings oft vorgeworfen wird – sondern ganz real an den Symptomen leiden, führen solche somatischen Beschwerden unter Umständen auch dazu, dass Betroffene von somatoformen Störungen arbeitsunfähig sind.

Welche Ursachen kann eine Somatoforme Störung haben?

Somatoforme Störungen sind von einer hohen Komplexität geprägt, da sie meist nicht nur eine Ursache haben, sondern viele Faktoren zusammenspielen. Es handelt sich dabei insbesondere um psychosoziale Faktoren. Zum Beispiel verdrängte Konflikte und Ereignisse, eine permanente Stressbelastung oder traumatische Kindheitserfahrungen können die Ursache sein. Auch biologische Faktoren wie eine Veranlagung sowie soziale Faktoren spielen eine Rolle.

In der Diagnostik finden auch bestimmte Fragebögen Verwendung, gewissermaßen als „Somatoforme-Störungen-Test“.

Kann man die Somatoformen Störungen therapieren?

Trotz der wahrscheinlich unzähligen Arztbesuche sollten Betroffene ihre Hausärzt:innen aufsuchen. Lassen sich keine organischen Ursachen diagnostizieren, ist es ratsam, die Möglichkeit psychischer Ursachen in Betracht zu ziehen und sich gegebenenfalls psychologische oder psychiatrische Hilfe zu suchen. Hierbei ist es empfehlenswert, sich an Fachärzt:innen für Psychosomatik, Psychiater:innen oder Psychotherapeut:innen zu wenden. Es gibt zudem psychosomatische Kliniken mit einer entsprechenden Spezialisierung.

Aus der empirischen Forschung wurde die Wirksamkeit der Psychotherapie deutlich. Bei den Somatoformen Störungen ist eine äußerst umfangreiche Anamnese und Ursachenforschung zwingend notwendig. Für die Betroffenen ist es besonders wichtig, dass sie die Ursachen-Wirkungsketten des Körpers und vor allem das Zusammenspiel von Körper und Seele verstehen lernen.

Nach der Ursachenklärung wird häufig die Kognitive Verhaltenstherapie als Methode der Wahl verordnet, da sie mit spezifischen Übungen die Körperwahrnehmung und das Schmerzgedächtnis verändern kann. Oftmals hat das lange Schmerzempfinden ein Vermeidungsverhalten bei den Betroffenen verursacht. In diesen Fällen ist das Ziel während der Therapie, durch Anleitung, die Aktivität wieder langsam zu steigern und den Körper einer höheren Belastung auszusetzen. Dabei spielen Entspannungsübungen eine wichtige Rolle.

Je nach der Ausprägung verschreiben die Behandelnden gegen Somatoforme Störung Medikamente. Das wird dein:e Therapeut:in gegebenenfalls konkret mit dir besprechen. Dabei können je nachdem Schmerzmittel sinnvoll sein, aber auch verschiedene Psychopharmaka.

Gehen Somatoforme Störungen wieder weg?

Die Therapie somatoformer Störungen zeigt oft gute Erfolge. In manchen Fällen verschwinden die Symptome auch von alleine wieder – bei der Somatisierungsstörung ist allerdings die lange Dauer der somatischen Beschwerden ein Kennzeichen.

Für das Leben mit Somatisierungsstörung können Angebote wie eine Somatisierungsstörung Selbsthilfe oder sogenannte Somatoforme Störung Foren Hilfestellungen geben. Dort tauschen sich Betroffene über ihre Erfahrungen aus.

Abgrenzung somatische Depression oder Depression mit Somatisierungsstörung und Dissoziative Störung

Der Zusammenhang von Körper und Psyche findet sich auch bei anderen Krankheitsbildern wieder, die allerdings ausdrücklich nicht unter die somatoformen Störungen gezählt werden.

Dazu zählt zum Beispiel die sogenannte somatische Depression, auch somatisierte Depression oder Depression mit Somatisierungsstörung genannt. Dabei werden körperliche Beschwerden empfunden, wie Kopfschmerzen, Schwindel, Herz-Beschwerden oder Magen-Darm-Probleme. Als ursächlich angesehen, wird dabei eine Depression, die aber „larviert“ oder maskiert ist und sich vor allem in den körperlichen Symptomen niederschlägt. Heute wird diese Diagnose eher selten gestellt – Betroffene erhalten meist eine Therapie auf Somatoforme Störungen hin.

Abgrenzen muss man auch Somatoforme von Dissoziativen Störungen. Besonders Störungen aus einer psychogenen Ursache heraus – etwa einem traumatischen Erlebnis –, die sich in normalerweise willentlich gesteuerten körperlichen Bereichen zeigen oder im Verlust von Sinnesempfindungen, gelten als Dissoziative Störungen. Beispiele sind etwa Lähmungen oder der Verlust von Sinneswahrnehmungen, die aber keine körperliche Ursache haben.

Schmerzen oder andere konkrete körperliche Beschwerden ohne organische Ursache sind dagegen Somatoforme Störungen.

Ein Artikel von

Volker Budinger Medizinredakteur

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Quellenangaben

  1. Hausteiner-Wiehle, C. et al. (2014). S3- Leitlinie „Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden der Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) und des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM). www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-001.html
  2. Martin, A. et al. (2011). Somatoforme Störungen, Klinische Psychologie und Psychotherapie. Springer Medizin Verlag.
  3. Morschitzky H. (2007). Somatoforme Störungen: Diagnostik, Konzepte und Therapie bei Körpersymptomen ohne Organbefund. Springer.

Kapfhammer, H. (2008): Somatoforme Störungen. In: Nervenarzt Nr. 79S. 99–117, online verfügbar unter

https://doi.org/10.1007/s00115-007-2388-8

Kapfhammer, H. (2008): Somatoforme Störungen. In: Nervenarzt Nr. 79S. 99–117, online verfügbar unter

https://doi.org/10.1007/s00115-007-2388-8

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