Zurück 13 Mar 2023 · 9 min lesezeit
von Felicitas Eva Lindner
Scham

Du wirst rot, dir wird warm, du kannst keinen Augenkontakt mehr halten und am liebsten würdest du die Situation verlassen oder komplett aus der Liste der geschehenen Dinge streichen? - Das Gefühl von Scham kennen wir alle. Aber woher kommt es eigentlich, wofür schämen wir uns und wie können wir einen besseren Umgang damit finden oder es sogar für uns nutzen?

Scham Definition: Was ist Scham?

Scham ist ein Gefühl, das erst durch soziale Interaktion entsteht. Es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder erst ab dem zweiten Lebensjahr Gefühle wie Scham oder auch Schuld empfinden können, also erst wenn ein gewisses Gespür für die eigene Persönlichkeit entwickelt wurde. Andere Studien hingegen gehen davon aus, dass das “Fremdeln”, das schon sehr junge Kinder in ihren ersten Lebensmonaten empfinden, eine besondere Art von Scham darstellt.

Scham entsteht dann, wenn wir mit uns selbst hadern. Sei es bezüglich einer Entscheidung, die wir hinterfragen oder einem uns unangenehmen Eindruck, den wir vermeintlich bei einer anderen Person hinterlassen haben. Im Gegensatz dazu ist Schuld ein Gefühl, das wir empfinden, wenn wir etwas getan haben, was einer anderen Person schadet.

Scham bezeichnet ein als unangenehm empfundenes Gefühl, ein peinliches Gefühl, und kann von leichter Verlegenheit bis hin zu einem sehr starken Empfinden von Beschämtheit reichen. Auch wenn Scham eigentlich in Folge der Interaktion mit anderen Menschen entsteht, kann sie auch dann entstehen, wenn wir uns eine unangenehme Situation nur vorstellen. Doch auch hier schämen wir uns, weil wir Angst vor der Reaktion unseres sozialen Umfelds haben.

Im Zusammenhang mit Scham wird auch oft von Schamgrenzen gesprochen. Schamgrenze beschreibt den Punkt, an dem man anfängt, sich für ein bestimmtes Verhalten zu schämen.

Was ist Fremdschämen?

Warum schämen wir uns Fremd? Also warum entsteht in uns das Gefühl, dass wir uns für eine andere Person schämen müssen? Forschende der Universität Marburg haben herausgefunden, dass Scham ein Gefühl ist, das sich bei einer von uns selbst als peinlich bewerteten Situation einstellt. Unabhängig davon, ob wir sie selbst erleben oder eine andere Person. Zudem konnte gezeigt werden, dass beim Beobachten von Menschen in einer unangenehmen Situation die gleichen Hirnregionen aktiv sind, wie bei Mitgefühl.

3 Arten von Scham

In der Wissenschaft werden verschiedene Arten von Scham unterschieden:

  1. Soziale und körperliche Abweichung/ abweichende Persönlichkeitsmerkmale: Diese Art von Scham entsteht dann, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere soziale Zugehörigkeit einer Situation nicht angemessen ist, also beispielsweise wenn wir in der Öffentlichkeit weinen.
  2. Grenzverletzendes Verhalten/ Überschreitungen: Die zweite Art von Scham empfinden wir dann, wenn unser Verhalten nicht mit gesellschaftlichen Normen einhergeht, wenn wir also lügen oder öffentlich kritisiert werden.
  3. Versagen/ Misserfolg: Auch Misserfolge führen oftmals dazu, dass wir uns schämen oder peinlich berührt sind. Zu diesem Typ von Scham gehört auch, bestimmte Körperfunktionen nicht kontrollieren zu können.

Manchmal führen auch positive Aussagen wie zum Beispiel Lob zu Schamgefühlen. Das kann dann sein, wenn wir fürchten, nicht angemessen auf das Lob reagieren zu können oder weil uns das Maß an Aufmerksamkeit zu viel ist.

Wie wird Scham ausgelöst?

Die Auslöser für Scham können von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich sein. Situationen, für die sich eine Person schämt, können für eine andere Person ganz normal und nicht peinlich sein. Für das Entstehen von Schamgefühl spielen die vorherrschenden kulturellen Wertvorstellungen eine enorme Rolle, ebenso der Bildungsstatus und das soziale Umfeld.

Was passiert im Körper, wenn wir uns schämen?

Scham ist mit ganz bestimmten Reaktionen des Körpers verbunden, die oft dazu führen, dass uns eine Situation dadurch noch unangenehmer wird: Das Gesicht läuft rot an und wird heiß, wir senken den Blick und vermeiden Augenkontakt mit anderen Menschen. Oftmals ist auch die Bewegungsfähigkeit ein wenig eingeschränkt, wir werden tollpatschig und unkontrolliert.

Das Gefühl von Scham aktiviert im Gehirn dieselben Regionen wie das Gefühl von existenzieller Angst. Normalerweise sind der Parasympathikus und der Sympathikus, die Teile des vegetativen Nervensystems, gegensätzlich aktiv. Wenn wir uns schämen, entsteht jedoch eine Art Fehlregulation: Das sympathische und das parasympathische Nervensystem sind gleichzeitig aktiv. Diese Aktivierung führt zu körperlichen Reaktionen wie Schwitzen, Zittern oder Erröten.

Warum werden wir rot, wenn wir uns schämen?

Auch das Erröten bei Schamgefühl wird durch das vegetative Nervensystem ausgelöst: Der Sympathikus ist durch die Stressreaktion bei Scham aktiv. Er gibt den Blutgefäßen im Gesicht den Befehl, sich zu weiten. So füllen sie sich mit mehr Blut und wir erröten. Warum genau das Gesicht bei peinlichem Berührtsein rot wird, ist nicht ganz klar. Es kann jedoch auch einen Nutzen haben: In Studien wurde gezeigt, dass Studienteilnehmende die Menschen, die in einer peinlichen Situation erröten, wohlwollender und mitfühlender bewerten. Das Erröten kann also in sozialen Interaktionen durchaus auch hilfreich sein.

Scham macht sympathisch

Studien zeigen: Missgeschicke lösen bei anderen Menschen Sympathie aus. Der Psychologe Anthony Manstead von der Universität Cardiff hat das in einem Experiment gezeigt: In einem Supermarkt fiel einem Mann ein Stapel Toilettenpapier zu Boden. Er war sichtlich peinlich berührt. Eine zweite Versuchsperson verlor ebenso das Toilettenpapier, zeigte sich von der Situation aber wesentlich unberührter. Diese und eine weitere Studie haben gezeigt, dass Menschen, die Scham nach außen zeigen, mehr Mitgefühl und Sympathie bei anderen Menschen auslösen als andere. Im Fall des Experiments neigten Personen im ersten Fall eher dazu, dem Mann zu helfen. Scham führt zudem dazu, dass andere uns als vertrauenswürdiger und großzügiger wahrnehmen. 

Einen guten Umgang mit Scham finden

Es ist gut, sich bewusst zu machen, dass Scham bei unserem Gegenüber eher eine positive Reaktion auslöst, als eine negative. Scham und die damit verbundene Verlegenheit machen uns menschlich. Scham kann unangenehm sein, ein ehrlicher Umgang damit aber auch befreiend. Je mehr wir versuchen Scham zu überspielen, desto stärker kann sich das auf unser Gewissen und somit auf das eigene Befinden auswirken: Denn Scham zu verstecken kann das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, noch verstärken. Wenn wir denken, nicht richtig gehandelt zu haben, sind wir gehemmt, obwohl sich schämen ganz normal ist. Gegen Scham musst du zunächst nichts tun, es handelt sich dabei um eine Emotion, die du zulassen und zeigen darfst.

Um Scham und in diesem Zusammenhang auch Schuld oder ein schlechtes Gewissen zu überwinden, ist Ehrlichkeit der beste Weg. Der Verhaltenstherapeut Holger Kuntze sagt dazu, dass Reflexion und Aktivität die klügste Art sei, auf ein schlechtes Gewissen zu reagieren. Es kann also bereits hilfreich sein, sich selbst und den vermeintlichen Fehler zu reflektieren und zu diesem Verhalten zu stehen. Vor sich selbst und vor anderen Menschen.

Welches Bedürfnis steht hinter Scham?

Das Gefühl von Scham hat durchaus auch positive Seiten. Es kann unsere Privatsphäre schützen und uns dabei helfen, sowohl die eigenen Grenzen als auch die anderer zu bewahren. Es muss uns jedoch nicht unangenehm sein, wenn wir zu uns selbst stehen und die eigenen Gefühle kommunizieren. Denn oft steckt hinter Scham eigentlich die Befürchtung nicht “gut genug” zu sein. Um das Bewusstsein für die eigene Person zu verbessern, können Achtsamkeitsübungen helfen. Achtsamkeitsübungen können dir langfristig auch dabei helfen, den Fokus nicht nur auf den aktuellen Moment, sondern auch auf deine Stärken zu legen und auf das, was du gut machst. So kannst du lernen, wo deine eigenen Stärken und Schwächen liegen und wie du am besten mit ihnen umgehst. Außerdem stärkst du durch den Fokus auf deine Stärken dein Selbstwertgefühl.

Scham bei der Psychotherapie

Zum einen ist es wichtig, hier mehr Aufklärung zu leisten, Menschen zu informieren und gegen Vorurteile einzustehen. Für Betroffene ist es zudem wichtig, sich zu verdeutlichen, dass Psychotherapeut*innen genau dazu da sind, um zu helfen. Sie verfügen über Wissen und ausreichend Empathie, um auch mit den mit einer Psychotherapie vielleicht einhergehenden Schamgefühlen umzugehen. Sie werden dich nicht verurteilen, sondern wollen dich unterstützen.

Sowohl bei Depression als auch bei Essstörungen spielt Scham eine große Rolle. Betroffene trauen sich vielleicht nicht, über ihre Symptome zu sprechen oder bei der Arbeit von der Erkrankung zu erzählen. Essstörungen bezeichnet man nicht selten auch als "heimliche Erkrankung". Selfapy bietet seit kurzem kostenlose eBooks zum Download an, die psychotherapeutische Übungen bei Depression, Bulimie und Binge-Eating Störung enthalten. Hier kannst du dir die eBooks sichern.

Stelle dir bei Scham diese Fragen

Wenn du Scham empfindest, kann es hilfreich sein, dir ein paar Fragen zur Reflexion zu stellen, um die Situation besser zu verstehen und auch, um einen besseren Umgang mit deinen unangenehmen Gefühlen zu finden. Zunächst ist es aber wichtig, das Gefühl von Scham zu erkennen und sich ihm zu stellen und vielleicht auch über die Situation zu lachen. Lachen wirkt auf andere ansteckend und kann peinliche Situationen so auch auflösen und dich selbst entspannen.

  • Was löst Angst in dir aus?

Wenn eine Situation das Gefühl von Scham bei dir auslöst, dann stell dir die Frage, warum eigentlich? Was ist passiert, was dieses Gefühl in dir auslöst und passiert deshalb wirklich etwas Schlimmes? Vielleicht gelingt es dir sogar, die Situation einmal von außen zu betrachten. Was würdest du denken, wäre eine andere Person in deiner Situation? Und dann beantworte ehrlich die Frage: Wovor hast du Angst? Die Bedrohlichkeit vieler Dinge entsteht erst im Kopf, erst durch unsere Bewertung bzw. Interpretation der Situation. Wenn du dich also für etwas schämst, versuche einmal, das offen anzusprechen. Stehe dazu, dass dir etwas unangenehm ist und nimm wahr, wie die Leute um dich herum darauf reagieren. 

  • Was erlaubst du dir nicht?

Was steckt hinter deiner Scham? Strebst du vielleicht danach, immer perfekt zu sein oder danach, ein bestimmtes Bild zu vermitteln? Das musst du nicht. Du darfst Fehler machen, du darfst Seiten von dir zeigen, die du vielleicht nicht so gerne magst und du darfst Ecken und Kanten haben. So kannst du lernen, Dinge in der Zukunft anders zu machen. Und andere sehen dich so vielleicht als menschlicher an oder du wirkst dadurch interessanter. Steh also zu all deinen Seiten. 

  • Was kann dir jetzt helfen?

Frage dich zum Schluss, was dir in einer Situation, in der du dich schämst, gut tun würde. Versuche, achtsam und liebevoll mit dir selbst umzugehen und nicht zu kritisch zu sein. Einige Vorschläge, was dir in oder nach einer von dir als unangenehm empfunden Situation helfen kann:

  • ein Spaziergang an der frischen Luft
  • ein Gespräch mit einer dir nahestehenden Person
  • Ablenkung durch eine Aktivität, die dir Freude bereitet
  • Selbstliebe und Zeit für dich
  • eine Meditation oder bewusstes Atmen

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Ein Artikel von

Felicitas Eva Lindner Redakteurin · Journalismus M.A. | Psychologie B.Sc. | Psychologie M.Sc.

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Quellenangaben

  1. 7mind (o.J.). Wie kann ich Scham überwinden? Online verfügbar unter https://www.7mind.de/magazin/scham-ueberwinden-uebungen-definition [07.03.23].
  2. Kalbe, Wolfgang: Scham – Komponenten, Determinanten, Dimensionen (Universität Hamburg, 2002)
  3. Schuhrke, Bettina: Zur Entwicklung des körperlichen Schamgefühls – theoretische Perspektiven und eine Studie an Kindern in Familien, Vortrag an der Universität Frankfurt a. M. (Evangelische Hochschule Darmstadt)
  4. Stapf, Johanna (2021). Emotionen. Darum schämen wir uns. Online verfügbar unter https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/darum-schaemen-wir-uns/ [07.03.23].

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