Zurück 02 Jul 2018 · 6 min lesezeit

Die meisten Menschen haben schon mal über ihren Hunger hinaus gegessen und vielen fällt es schwer, eine angebrochene Tafel Schokolade nicht doch gleich ganz zu verspeisen. Kommt es jedoch regelmäßig und über einen längeren Zeitraum zu regelrechten Essattacken mit einem Gefühl des Kontrollverlustes, kann das ein Hinweis auf eine Binge-Eating-Störung sein.

Die Binge-Eating-Störung (BES) oder auch Binge Eating Disorder (BED) gilt in den USA seit 1994 als eigenständiges Krankheitsbild. In Deutschland wird sie unter „nicht näher bezeichnete Essstörung” oder „Essattacken bei sonstigen psychischen Störungen” geführt (ICD-10). Der Name leitet sich von dem englischen Begriff „binge” ab, welcher mit Gelage oder umgangssprachlich „Fressorgie“ übersetzt werden kann. Zur Häufigkeit der Binge-Eating-Störung liegen bislang nur wenige Studien vor. Schätzungen aus Deutschland reichen von 0,1% bis 1,5%, wobei rund ein Drittel der Betroffenen Männer sind.

Was ist die Binge-Eating-Störung?

Die Binge-Eating-Störung äußert sich durch Heißhungerattacken, währenddessen Betroffene das Gefühl haben, die Essanfälle nicht stoppen zu können und einen regelrechten Kontrollverlust über die Nahrungsaufnahme erfahren. Große Mengen an Nahrung werden während der Essanfälle schnell und meist heimlich verzehrt. Nach den Anfällen und Heißhungerattacken quälen die Betroffenen große Schamgefühle, Ekel vor sich selbst und innere Unruhe. Emotionaler Stress kann eine Ursache für diese Essanfälle sein. Im Gegensatz zur Bulimie werden bei der Binge-Eating-Störung keine gewichtsreduzierenden Maßnahmen nach den Essanfällen getroffen.

Um letztendlich die Diagnose einer Binge-Eating-Störung zu erhalten, müssen Betroffene mindestens über sechs Monate zwei Mal in der Woche einen Essanfall erleiden. Zur Diagnose gehören neben der Essanfälle auch die unangenehmen Emotionen nach der Heißhungerattacke und der Kontrollverlust währenddessen. Das Gewicht ist hierbei nicht vorrangig, denn auch Normalgewichtige können unter einer Binge-Eating-Störung leiden. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit bei Binge-Eatern höher, später unter Übergewicht zu leiden.

Die Gedanken ausschalten

Betroffene verlieren nicht nur die Kontrolle während des Essens, ihnen fehlt auch das Sättigungsgefühl. Die Nahrung, meist extrem kalorienreich, wird eilig verschlungen. Dabei wird die Umwelt kaum noch wahrgenommen, die Gedanken sind „ausgeschaltet”. Nach einem solchen Anfall kommt es meist zu Ekel-, Schuld- und Schamgefühlen. Der Leidensdruck ist hoch, nicht selten entwickelt sich eine Depression. Das exzessive Essen führt zudem zu Übergewicht, welches wiederum Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Schlaganfälle begünstigt.

In Deutschland ist mittlerweile jeder vierte Mensch fettleibig. Nicht jeder mit Adipositas hat eine Binge-Eating-Störung. Die meisten von ihnen essen kontinuierlich zu viel, ohne Essattacken zu bekommen. Es scheint jedoch einen Zusammenhang zu geben: Übergewichtige erkranken häufiger an der Binge-Eating-Störung. So kann Adipositas sowohl Ursache als auch Folge der Essstörung sein. Dieser Teufelskreis kann im Rahmen einer Therapie sowie einer Ernährungsberatung durchbrochen werden.

Für die Betroffenen werden Essattacken, regelrechte Fressanfälle, zur größten Belastung. Generell kann man sagen, dass Betroffene mit dem übermäßigen Essen etwas „füllen” möchten. Betroffene berichten oft, dass es ihnen schwer fällt, das Hungergefühl von Emotionen wie Traurigkeit, Angst oder Anspannung zu unterscheiden. Ebenso ist die Unterscheidung zwischen dem Hungergefühl und dem Sättigungsgefühl für Menschen, die unter der Binge-Eating-Störung leiden, schwierig. Binge-Eater fühlen oft einen Zustand des Unbehagens, den sie als Hungergefühl interpretieren. Sie greifen dann zum Essen, um sich seelische Erleichterung zu verschaffen. Ein Kontrollverlust und die Unmöglichkeit des Stoppens während des Essanfalls beziehungsweise der Heißhungerattacke setzt ein.

Ursachen der Binge-Eating-Störung

Normalerweise lösen mehrere Ursachen eine Binge-Eating-Störung aus. Faktoren wie die Gene, Emotionen und gemachte Erfahrungen im Leben haben Einfluss auf die Entwicklung der Erkrankung. Grundsätzlich ist es wichtig, die Ursachen für eine Binge-Eating-Störung zu identifizieren, um aktiv gegen die Essstörung vorgehen zu können.

Psychologische Ursachen

Eine große Rolle bei den psychologischen Ursachen spielen Erfahrungen, meist die, die in der Kindheit gemacht wurden. Ursachen für spätere Probleme mit dem eigenen Essverhalten können traumatische Erlebnisse oder das Fehlen anderer Möglichkeiten der Emotionsregulation sein. Diese verschiedenen Faktoren haben Einfluss auf die Manifestierung der Binge-Eating-Störung. Die gelernten fehlerhaften Verhaltensweisen können harmlos beginnen und sich im Erwachsenenalter verstärkt äußern, zum Beispiel in einem schädlichen Essverhalten, geringem Selbstwert oder einem negativen Selbstbild.

Oft klagen Betroffene über Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation, Impulssteuerung oder Impulskontrolle und einem geringen Selbstwertgefühl. Binge-Eater leiden nicht selten unter depressiven Symptomen (Schlafstörung, ständiges Grübeln, Konzentrationsschwierigkeiten, pessimistische Sicht in die Zukunft, Selbstzweifel, Gefühl von Einsamkeit, Unzufriedenheit mit sich selbst, etc.). Bei der Hälfte aller Binge-Eater kann neben einer Essstörung eine Depression festgestellt werden.

Soziale Ursachen

Nicht selten spielt Übergewicht in der Kindheit eine Rolle. Binge-Eater entwickeln meist früh Probleme mit dem eigenen Essverhalten. Essen in der Kindheit wurde dann als falsche Kompensation genutzt. Zur Beruhigung, zur Belohnung, um Angst zu lindern oder, um sich von einer depressiven Verstimmung zu befreien. Kurzfristig hilft das Essen den Betroffenen, unangenehme Emotionen wie Traurigkeit, Angst, innere Leere oder Unsicherheit zu lindern. Langfristig stellt sich ein Teufelskreis ein, der nur schwer zu durchbrechen ist.

Biologische/genetische Ursachen

Ursachen für eine Binge-Eating Störung liegen manchmal in der Genetik. Seltene Anomalien können eine Binge-Eating Störung begünstigen. Genetische/körperliche Ursachen für eine Binge-Eating-Störung sind beispielsweise eine Dysregulation des Hypothalamus, welcher den Appetit kontrolliert. Ein geringes Level des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn hat einen Effekt auf die Entwicklung einer Binge-Eating-Störung und begünstigt die Essattacken. Körperliche Ursachen müssen mit dem Hausarzt abgeklärt werden. Dieser entscheidet über das weitere Verfahren der Therapie.

Diät als Ursache

Manchmal kann eine Diät die Ursache für die Entwicklung einer Binge-Eating-Störung sein. Bei der Diät wird dem Körper meist das Essen entzogen. Wenn dem Körper längere Zeit die Nahrungsaufnahme verwehrt bleibt, sendet dieser extreme Hungersignale aus. Diesen ist es umso schwerer entgegenzuwirken. Die Folge sind dann Essanfälle und Heißhungerattacken mit übermäßiger Nahrungsaufnahme. Aus dieser einmaligen Essattacke kann schnell ein langfristiges Problem entstehen. Eine Diät kann dem Körper auf lange Zeit großen Schaden zufügen, indem Essanfälle und Heißhungerattacken zur Regel werden.

Hilfe bei Binge-Eating

Betroffene, die unter der Binge-Eating Störung leiden, fühlen sich meist machtlos und können den Kreislauf der Essattacken und Fressanfälle schwer durchbrechen. Es gibt verschiedene Strategien, die du anwenden kannst, um dein Wohlbefinden zu verbessern. Zuerst ist es aber wichtig, das eigene Essverhalten zu verstehen. Das heißt zu klären, wieso du zum Essen greifst. Ist es wirklich Hunger? Sind es Emotionen, die zu Fressanfällen führen? Können die Gründe für deine Bedürfnisse nach Essen durch die Essanfälle gelöst werden oder brauchst du eigentlich etwas anderes? Hier findest du ein paar Tipps, die dir helfen, aktiv gegen die Heißhungerattacken und Essanfälle vorzugehen.

Die Mehrheit der Leidtragenden bemerkt oftmals, dass sie dann zur Essattacke neigen, wenn es ihnen vor allem psychisch nicht gut geht – bei Kummer, Angst, Zweifeln oder generellem Unwohlsein. Bei der Therapie der Binge-Eating-Störung sollten also mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Nicht nur die Symptome, sondern auch die unterliegenden und meist unterbewussten Ursachen müssen in eine Therapie mit einbezogen werden. Der Selfapy-Kurs bei Binge-Eating, welcher bis zu 100% von den Krankenkassen übernommen wird, hilft dir dabei, die Krankheit zu verstehen, die Ursachen und Auslöser zu erkennen und schließlich zu erarbeiten, was deine Krankheit aufrecht erhält. Informative Texte, interaktive Übungen, Videos und Arbeitsblätter können dir dabei helfen, dein Essverhalten zu normalisieren. Auf Wunsch kannst du per Nachrichtenfunktion mit deiner*m persönlichen Psychologin*en kommunizieren, welche*r dir unterstützend zur Seite steht.


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Quellenangaben

  1. Tuschen-Caffier, B. Hilbert. A. (2016). Binge-Eating-Störung. hogrefe.
  2. Herpertz, S., de Zwaan, M., Zipfel, S. (Hrsg.) (2015). Handbuch Essstörungen und Adipositas. 2. Aufl. Springer.
  3. Frank, G. K. W., Berner, L. A. (Hrsg.) (2020). Binge Eating: A transdiagnostic psychopathology. Springer
  4. Bundesfachverband Essstörungen e.V. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ANAD e.V. Ess-stoerungen.net Hungrig-Online e.V.

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