Patient*innen mit Binge Eating leiden an wiederkehrenden Essattacken, die sie nicht kontrollieren können. Sie wünschen sich oft Medikamente gegen Esssucht. Was sagt die Forschung? Gibt es bereits gute Medikamente? Mehr dazu erfährst du hier.
Viele Patient*innen wünschen sich Medikamente gegen Esssucht. In Deutschland ist jedoch kein Arzneimittel bei Binge Eating zugelassen. Medikamente, die sich eignen könnten, wurden meist nur bei wenigen Patient*innen untersucht, und die Datenlage ist schlecht. Das heißt, es ist unklar, ob sie überhaupt helfen könnten.
Inhaltsverzeichnis
Wie behandeln Ärzt*innen die Esssucht?
Hat dein*e Arzt*Ärztin bei dir eine Binge-Eating-Störung nachgewiesen, gehören Psychotherapien zu den wichtigsten Behandlungsmethoden. Viele Patient*innen profitieren vor allem von der Kognitiven Verhaltenstherapie oder von strukturierten Selbsthilfeprogrammen. Arzneimittel werden nicht generell, sondern nur in bestimmten Fällen verordnet. Ob du von Medikamenten bei Essstörungen profitierst, entscheidet dein*e Arzt*Ärztin. Dabei handelt es sich immer um Einzelfall-Entscheidungen.
Gibt es in Deutschland zugelassene Medikamente gegen Essstörungen?
Bei der Frage, welche Behandlung dem Stand der Wissenschaft entspricht, greifen Ärzt*innen auf sogenannte medizinische Leitlinien zurück. Dafür tragen mehrere Fachleute gemeinsam alle wichtigen Informationen zusammen, prüfen den aktuellen Stand der Forschung und empfehlen daraufhin ihren Kolleg*innen, wie sie bei der Behandlung einer bestimmten Erkrankung am besten vorgehen sollten. Es gibt auch eine Leitlinie, die sich mit der Diagnostik und Behandlung verschiedener Essstörungen befasst. In dem Dokument bewerten Expert*innen unter anderem Binge-Eating-Medikamente.
Das Ergebnis ist eindeutig: Derzeit gibt es in Deutschland kein einziges Medikament zur Behandlung von Binge Eating. Erhältst du Arzneimittel, handelt es sich um eine Verordnung außerhalb des zugelassenen Gebrauchs. Darüber muss dich dein*e Arzt*Ärztin im Detail aufklären.
Was bringen Medikamente gegen Essstörungen?
Autor*innen der Leitlinie stellen dennoch einige Medikamente zusammen, die sie aufgrund der Studienlage „kurzfristig als wirksam“ einstufen. Dazu gehört Lisdexamfetamin, ein Medikament, das chemisch mit Amphetamin verwandt ist. Es zählt zu den Psychostimulanzien. Einer Studie zufolge traten unter Lisdexamfetamin bei bis zu fünf von zehn Patient*innen keine Essattacken mehr auf, verglichen mit zwei von zehn Patient*innen unter einer Scheintherapie (Placebo). Die Studie ging über vier Wochen und erlaubt deshalb keine Aussagen zum langfristigen Nutzen.
Bewertet wurden auch Antidepressiva der zweiten Generation wie Fluoxetin oder Citalopram: Binge-Eating-Patient*innen erhielten entweder den Arzneistoff oder Placebo. Anti-Craving-Medikamente wurden genauso untersucht. Hier zeigen Antidepressiva eine höhere Wirksamkeit, wobei – wie zuvor – langfristige Daten fehlen. Generell waren Pharmakotherapien weniger effektiv als Psychotherapien. Sie führten je nach Substanz zu unterschiedlichen Nebenwirkungen. Alles in allem sehen die Leitlinienautor*innen in Pharmakotherapien eine Option, falls Psychotherapien nicht anschlagen – oder falls Patient*innen diese nicht wünschen. Zusammengefasst lässt sich sagen: Eine Psychotherapie ist die beste Lösung. Wenn die bei dir nicht die gewünschten Ergebnisse bringt, kannst du deine*n Ärztin*Arzt auf Medikamente bei Binge Eating ansprechen.
Welche Wirkung haben Appetitzügler bei Binge Eating?
Noch ein Blick auf Adipositas: Medikamentöse Therapie der Wahl war bei starkem Übergewicht früher ein Appetitzügler. Solche Wirkstoffe beeinflussen das Hungerzentrum oder das Sättigungszentrum im Gehirn, haben aber teils immense Nebenwirkungen. Beispielsweise fanden Wissenschaftler*innen heraus, dass der Wirkstoff Sibutramin im Vergleich zu Scheinmedikamenten die Zahl an Essattacken und das Körpergewicht der Patient*innen deutlich verringert. Allerdings führt der Arzneistoff zu zahlreichen Nebenwirkungen – von Magen-Darm-Störungen bis hin zu bedrohlichen Herzrhythmusstörungen. Medikamente mit Sibutramin wurden deshalb in der EU längst vom Markt genommen.
Bleibt noch Fluoxetin: Abnehmen gelingt mit dem Arzneimittel leichter, verglichen mit Placebo. Das hat eine zusammenfassende Auswertung von 19 Studien ergeben. Auch hier traten starke Nebenwirkungen auf, vor allem Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen oder Schwindel. Fluoxetin ist kein Appetitzügler im klassischen Sinne, sondern ein Antidepressivum.
Quellenangaben
- Herpertz, S. et al. (2018). S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen. AWMF online. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-026.html
- McElroy, S. L. et al. (2015). Efficacy and Safety of Lisdexamfetamine for Treatment of Adults With Moderate to Severe Binge-Eating Disorder. A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry, 2(3):235-246. doi:10.1001/jamapsychiatry.2014.2162https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25587645/
- Wilfley, D. E. at al. (2008). Efficacy of sibutramine for the treatment of binge eating disorder: a randomized multicenter placebo-controlled double-blind study. Am J Psychiatry, 165(1):51-8. doi: 10.1176/appi.ajp.2007.06121970. Epub 2007 Dec 3.https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18056225/
- Serralde-Zúñiga, A. E. et al. (2019). Fluoxetin zur Behandlung von Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas. Cochrane-Collaboration. https://www.cochrane.org/de/CD011688/ENDOC_fluoxetin-zur-behandlung-von-erwachsenen-mit-ubergewicht-oder-adipositas