Zurück 04 Jan 2023 · 8 min lesezeit
von Volker Budinger
Magersucht-Verhaltensregeln für Eltern

Mein Kind hat Magersucht – für viele Eltern ist das erstmal ein Schock. Doch es gibt einige gute Strategien und Verhaltensregeln für Eltern, damit das Kind mit Hilfe den Weg aus der Magersucht findet und auch damit Eltern an der Situation nicht verzweifeln. Lies hier, wie du dich als Elternteil bei Magersucht am besten verhältst.

Ist mein Kind magersüchtig? Das ist für Eltern oft nicht sofort leicht zu erkennen. Ist die Diagnose aber dann da, stellst du dir als Elternteil vielleicht die Frage beim Thema Magersucht: „Was können Eltern tun?“ Eine ganze Menge ist die Antwort, denn Eltern können für betroffene Kinder ein wichtiger Halt sein, auch wenn die Betroffenen das gerade ihre Eltern oft am wenigsten spüren lassen. Mit diesem Text wollen wir dir einige Verhaltensregeln und Strategien näher bringen, die dir und deinem Kind helfen können.

Mit dem Selbsttest kannst du herausfinden, ob du Anzeichen für eine Essstörung zeigst. Eventuell sind die Online-Kurse von Selfapy für Bulimie und die Binge-Eating Störung für dich geeignet.

Wie helfe ich meinem Kind bei Magersucht?

Oft führt die Erkenntnis „Mein Kind ist magersüchtig“ bei Eltern erst einmal zu Hilflosigkeit. Dann schließen sich oft Empfindungen wie Wut, Schuldgefühle oder Verzweiflung an. Das sind zwar ganz normale Reaktionen auf den Schock der Diagnose – wichtig für dich als Elternteil eines betroffenen Kindes ist aber: Nichts davon hilft dem Kind.

Zunächst einmal geht es für Eltern darum, zu erkennen, dass das Kind ein ernsthaftes Problem hat. Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung. Sie geht nicht einfach wieder vorbei, es ist keine „Abnehmphase“ – und sie kann lebensbedrohlich werden.

Du und dein*e Partner*in als Eltern können helfen – aber euer Kind benötigt in jedem Fall professionelle Hilfe, um den Weg aus der Magersucht heraus zu finden. Das heißt, redet das Problem nicht klein, mache dir auch selbst bewusst, dass das Problem gelöst werden muss. Und sucht unbedingt Hilfe bei einem*einer Arzt*Ärztin oder anderen Expert*innen für das Thema.

Schuldfragen führen zu nichts – dein Sohn oder deine Tochter, die von Magersucht betroffen sind, brauchen Lösungen, keine Schuldzuweisungen. Auch du und dein*e Partner*in sollten sich nicht gegenseitig die Schuld zuweisen, ihr helft eurem Kind mehr, wenn ihr das Problem gemeinsam angeht.

Informiert euch als Eltern am besten auch gemeinsam mit eurem betroffenen Kind über das Thema Magersucht und Essstörungen. Mit eurem „Blick von außen“ auf euer Kind könnt ihr ihm bereits dabei helfen, das Problem als solches überhaupt wahrzunehmen. Betroffenen merken das selbst oft zuletzt.

Ein wichtiger Schritt ist es, einen passenden Therapieplatz für die erkrankte Person zu finden. Das ist jedoch gar nicht so einfach. Wartezeiten auf Therapieplätze sind lang und die verschiedenen Angebote oft nicht so einfach einzuordnen. Frau S., Mutter einer an Anorexie erkrankten Tochter, beschreibt zum Beispiel, dass mit tiefenpsychologischen und systemischen Ansätzen in der Therapieerfahrung ihrer Tochter sehr verkürzt umgegangen wurde und beschreibt ihre Erfahrungen damit als nicht sehr gut. Bei ihrer Tochter hingegen haben verhaltenstherapeutische Maßnahmen eine größere und positivere Wirkung gezeigt.

Je nach psychologischem Ansatz kann das familiäre Umfeld als Auslöser der Erkrankung, oder aber als eine wichtige Ressource gesehen werden. Welcher Ansatz und welche Therapieform die richtige sind erfordert hier viel Feingefühl und ist auch von der individuellen Situation abhängig.

Im folgenden Abschnitt findest du einiges über die Symptome einer Magersucht.

Woran erkenne ich, dass mein Kind magersüchtig ist?

Eine Magersucht erkennt man unter anderem an folgenden Anzeichen:

  • Schnelle Gewichtsveränderung
  • Der*die Betroffene redet oft über das Thema Gewicht und über das Körperbild, ist geradezu fixiert darauf
  • Beim Essen entstehen ungewöhnliche feste Abläufe
  • Wiegen wird zur häufigen Angewohnheit
  • Beim Essen wirkt der*die Betroffene schamhaft, gestresst oder gar ängstlich
  • Exzessives Sportprogramm oder Fitnesstraining
  • Weite Kleidung wird neuerdings bevorzugt
  • Darauf angesprochen zeigt der*die Betroffene keine Einsicht in die Krankheit
  • Körperliche Probleme wie Magenprobleme, Erschöpfung, Haarausfall, ständiges Frieren
  • Depressionen, Niedergeschlagenheit oder geringes Selbstwertgefühl

Mehr zu den Symptomen einer Magersucht findest du im Artikel 🡪 Symptome von Magersucht.

Magersucht: Eltern-Verhalten – die Dos and Don’ts

  • Lass dich nicht zum Komplizen machen

Viele Eltern tun gerne alles für ihre Kinder – in manchen Fällen nutzen von Magersucht Betroffene das allerdings aus. Dann heißt es standhaft bleiben. Fahre dein untergewichtiges Kind etwa nicht zum Sport, lass dir nicht vorschreiben, was zum Essen eingekauft werden soll oder lasst euch nicht zum exzessiven Sport- oder „Abnehmprogramm“ einspannen.

  • Professionelle Unterstützung suchen

Während die Therapieangebote für Betroffene mannigfaltig sind, gibt es mittlerweile auch Plattformen und Beratungsstellen für Angehörige oder Freunde. Die Firma aidable bietet solche Unterstützung in Form eines Kurses für Angehörige an. Hier erfährst du mehr dazu.
Um den Weg aus einer Essstörung zu finden ist eine Therapie und die Einsicht bei der*dem Betroffenen, ein Problem zu haben, wichtig. Dennoch kann die Rolle von Eltern oder der Familie im Therapieprozess eine wichtige sein. Frau S., die Mutter einer an Anorexie erkrankten Tochter, sagt dazu:

Die Krankheitseinsicht ist wichtig, in den allermeisten Fällen reicht dies allein aber zu Behandlungsbeginn nicht aus. Die Familie muss an einem Strang ziehen und beherzt und konsequent handeln (können)."
  • Sprich nicht beim Essen über das Thema Magersucht, übe keinen Druck aus 

Viele Betroffene fühlen sich regelrecht angegriffen, wenn beim Essen das Thema Magersucht angesprochen wird. Dafür gibt es viele bessere und vor allem entspanntere Gesprächssituationen.

  • Nimm die Essstörung nicht persönlich

Magersucht bedeutet für Eltern eine Konfliktsituation. Besonders weil der*die Betroffene meist leugnet, überhaupt ein Problem zu haben, kommt es oft zu Konflikten, wenn das Essverhalten angesprochen wird. Besonders Eltern dürfen dieses Verhalten nicht persönlich nehmen, auch wenn es schwer fällt. Es ist ein Symptom der Krankheit.

  • Informiere dich über das Thema Magersucht

Wissen (und bei der*dem Betroffenen Selbsterkenntnis) ist hier der erste Weg zur Besserung. Wenn du gemeinsam mit deinem Kind Informationen bei Expert*innen zum Thema einholst, ist unter Umständen damit bereits ein erster Weg zur Therapie geöffnet. 

  • Habe Geduld

Der Weg aus der Magersucht braucht Zeit und Menschen, die der*dem Betroffenen Halt geben. Sei geduldig, denn dein Kind leidet wahrscheinlich am meisten unter der Situation.

  • Erfülle keine Sonderwünsche beim Essen

Nur noch Light-Produkte, nur noch bestimmte Zutaten in bestimmten Mengen – solche Sonderkonditionen solltest du nicht mitmachen. Versuche stattdessen, normale, ausgewogene gesunde Kost auf den Tisch zu bringen.

  • Verschweige das Thema nicht und akzeptiere die Krankheit

Gegenüber Außenstehenden totzuschweigen, dass dein Kind magersüchtig ist, hilft nicht weiter. Akzeptiere die Magersucht als eine behandlungsbedürftige Krankheit.

  • Gehe normal mit deinem Kind um

Behandle ein Kind mit Magersucht nicht wie ein rohes Ei und auch nicht wie eine*n „Aussätzige*n“. Behandle es normal und respektvoll.

  • Suche professionelle Hilfe

Nur mit einer professionellen Therapie bei einem*einer Expert*in lässt sich am besten ein Weg aus der Magersucht finden

  • Suche Hilfe für dich selbst

Auch du und dein*e Partner*in solltet nicht alleine versuchen, das Problem zu lösen. Psychische Erkrankungen wie Magersucht sind besonders auch für die Angehörigen eine Belastung – es gibt aber Hilfe

Frau S. rät Eltern betroffener Kinder Folgendes: "Ich habe sehr lang darauf gewartet, dass die Krankheit meiner Tochter von Fachleuten diagnostiziert würde und mich ohne eine professionelle Begleitung nicht so recht getraut, aktiv zu werden. Lang habe ich damit gehadert, auf gemeinsamen Mahlzeiten und regelmäßigem Wiegen zu bestehen, weil ich nicht übergriffig sein und in die Autonomie meiner Tochter eingreifen wollte. Nachträglich wünsche ich mir, ich hätte auch ohne therapeutische Begleitung schon konsequenter und beherzter gehandelt.

Ein wichtiger Rat ist, die Krankheit zu „externalisieren“, also Kind und Krankheit gedanklich zu trennen. Wenn eine kranke Jugendliche wie ein Kleinkind mit Essen um sich wirft, dann ist das ein Symptom und kein Konflikt, der ausgetragen werden muss. Dann schöpft man das Essen eben neu oder bietet dem Kind notfalls an, es durch eine adäquate andere Mahlzeit zu ersetzen. Man darf nur nicht auf die anorektische Logik einsteigen und sich zum Beispiel „herunterhandeln“ lassen. Eltern sollten sich früh darauf einstellen, dass sie in diesem bestimmten Lebensbereich eine Zeitlang wieder stärker gefragt sind. Das kann sehr zeitintensiv sein und man muss sinnvoll überlegen, wie es finanziell machbar ist."

Zudem spricht sie als Mutter einer betroffenen Tochter die Themen Selbstfürsorge, Selbsthilfe-Gruppen auch für Eltern an und darüber, politisch aktiv zu werden, wenn ausreichend Kraft dafür da ist, um die Versorgungssituation für Betroffene von Essstörungen zu verbessern. "Damit es so weit kommt, müssen die Stimmen von Betroffenen und Angehörigen laut werden. Das hilft vielleicht nicht unseren eigenen Kindern – aber denen, die nachkommen. Und das ist doch auch ein hilfreicher Gedanke."

Magersucht: Hilfe für Eltern

Eltern von Betroffenen brauchen oft selbst Hilfe, um mit der Situation umgehen zu können. Viele Vereine und Initiativen, die sich mit dem Thema Magersucht beschäftigten und auch als Träger von Therapieangeboten für Erkrankte existieren, bieten auch speziell für Angehörige, Eltern und Freunde von Betroffenen eigene Angebote an. 

Beratungsstellen, Krankenkassen, Ärzte*Ärztinnen, Therapeut*innen oder andere Expert*innen können auch meist Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermitteln. Daneben gibt es Magersucht Eltern-Foren im Netz, die viele Informationen von Eltern für Eltern bieten.

Hilfe gibt es auch etwa bei der Telefonberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA zu Essstörungen unter der Telefonnummer 0221 – 89 20 31 (montags bis donnerstags 10 bis 22 Uhr, freitags, samstags, sonn- und feiertags 10 bis 18 Uhr).

Ein Artikel von

Volker Budinger Medizinredakteur

Artikel teilen

Quellenangaben

  1. Baeck et al. (2010). Essstörungen – Leitfaden für Eltern, Angehörige und Lehrkräfte, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BzgA
  2. Borgstedt (2013). Bulimie und Magersucht – Ratgeber für Eltern, Brill-Schöningh-Verlag
  3. Reich et al. (2004). Essstörungen – Magersucht, Bulimie, Binge Eating, Trias-Verlag

Ähnliche Artikel

CE icon

CE-Zulassung

Selfapy ist ein CE-zugelassenes Medizinprodukt der Klasse 1.

trust icon

Wissenschaftlich fundiert

Wir führen klinische Wirksamkeitsstudien zu all unseren Kursen durch.

lock icon

Datensicherheit & DSGVO

Daten werden DSGVO konform vertraulich behandelt und unsere Systeme sind ISO 27001 zertifiziert.

pageview counter pixel