
Vorurteile gegen Menschen, die unter psychischen Belastungen und Erkrankungen leiden sowie ihre Stigmatisierung sind nach wie vor ein gesellschaftliches Problem. Diese Stigmatisierung kann unter Umständen den Verlauf einer psychischen Erkrankung sogar erschweren, insbesondere durch die soziale Distanzierung.
Welche Arten der Stigmatisierung gibt es?
In der Sozialwissenschaft wird etwas als Stigma bezeichnet, wenn ein bestimmtes Merkmal mit einem “normabweichenden” oder negativen Stereotyp in Verbindung gebracht wird. Im Fall psychisch erkrankter Personen wird das Merkmal psychisch krank also mit einer negativen Assoziation wie ist gefährlich oder Ähnlichem verknüpft. In Folge dieser Stigmatisierung werden die diskriminierten Personen durch eben diese auch in ihrem Status herabgesetzt und werden strukturell oder auch unmittelbar benachteiligt. Diese Benachteiligung kann sich durch soziale Distanz, ein Herabwürdigen oder nicht Ernstnehmen der Person und ihrer Probleme oder andere Arten der Diskriminierung zeigen.
Raus aus dem Teufelskreis
Psychisch belastete Menschen werden in unserer Gesellschaft oft als emotional schwach und leistungsschwach wahrgenommen. Dieses Stigma trägt zudem dazu bei, dass auch psychisch Erkrankte selbst ihrer Erkrankung einen negativen Wert beimessen. Sie schämen sich für ihre Erkrankung, haben Angst davor, sie sich selbst und auch anderen Menschen einzugestehen und über die Belastung zu sprechen. Oft wagen sie auch den Schritt nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dieses Phänomen bezeichnet man als self stigma. Negative Konzepte und gesellschaftliche Wertvorstellungen über psychische Erkrankungen werden auf sich selbst bezogen, was den Selbstwert deutlich sinken lässt und beispielsweise den Drang zur Geheimhaltung einer psychischen Erkrankung verstärken kann. Dieser Teufelskreis führt meist nur zu einer Verschlimmerung der Symptome und zu noch höherem psychischen Druck: Depressive Symptome können sich verstärken, das Schamempfinden wird erhöht und der Selbstwert sinkt. Diese Selbststigmatisierung und die zunehmende Distanzierung des sozialen Umfelds führen infolgedessen zu einer immer stärker werdenden Rückzugstendenz und zu Vermeidungsverhalten. Wenn Betroffene psychischer Erkrankungen die Stigmatisierung ihrer Erkrankung zu einem großen Teil auf sich selbst beziehen, so sinkt auch die Bereitschaft zur Krankheitseinsicht und somit die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Therapie.
Wie entsteht Diskriminierung?
Man unterscheidet in der Wissenschaft zwischen sichtbaren und unsichtbaren Stigmata. Zu den sichtbaren gehören zum Beispiel Hauterkrankungen, da man sie von außen erkennen kann. Psychische Erkrankungen werden eher zu den unsichtbaren Stigmata gezählt, da sie in der Regel von außen nicht sofort zu erkennen sind. Im Fall von psychischen Erkrankungen spricht man auch weitestgehend von einem öffentlichen Stigma. Das bedeutet, dass die Vorurteile und die Diskriminierung die Wahrnehmung der Allgemeinbevölkerung betreffen. Studienergebnisse zeigen, dass Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden und/ oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, oft eine schlechte Emotionsregulation, also mangelnde Selbstkontrolle über die eigenen Gefühle vorgeworfen wird.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein großer beeinflussender Faktor ist die mediale Berichterstattung. Oft wird auch hier über Betroffene von psychischen Erkrankungen eher negativ berichtet. Es wird suggeriert, von ihnen ginge Gefahr aus, so zum Beispiel aggressives Verhalten. Bestimmte Stereotype, so auch der des aggressiven Verhaltens, wird zudem eher auf Menschen mit Schizophrenie übertragen, als auf Menschen, die unter einer Depression leiden. Insgesamt unterscheiden sich die Einstellung und Wahrnehmung verschiedener psychischer Erkrankungen stark. So lösen beispielsweise Depressionen oder Alkoholabhängigkeit weniger Unsicherheit in der Bevölkerung aus als Schizophrenie.
Was sind die Folgen von Diskriminierung?
Die Folgen der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen sind vielfältig und können durchaus existenzbedrohend sein. Oft zeigen sich die direkten Folgen der Diskriminierung im unmittelbaren Umfeld der Betroffenen Personen. Oft zieht eine psychische Erkrankung Probleme in Job, in der Beziehung und der Wohnungssuche nach sich. Viele Menschen sehen den Grund für eine psychische Erkrankung in den Betroffenen selbst, es fehlt das Verständnis dafür, dass auch eine psychische Erkrankung schlichtweg eine Erkrankung ist. Menschen, die unter häufigen Psychosen leiden werden oft als sehr gewalttätig wahrgenommen, Menschen die unter einer Depression oder einer Suchtkrankheit leiden, werden oft selbst dafür verantwortlich gemacht. Die schwerwiegende Folge: Viele nahestehende Personen entfernen sich von Betroffenen, wodurch das so wichtige unterstützende soziale Netz nach und nach wegbricht.
Was man gegen Stigmata tun kann
Der Kampf gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung psychisch Erkrankter wird weltweit als ein zentraler Bestandteil dessen gesehen, die Versorgungssituation im Bereich der Psychologie und Psychotherapie zu verbessern. Ein erster Schritt ist hier Aufklärung sowie ein offener Umgang mit psychischen Erkrankungen. Vielen Menschen fehlt nach wie vor das Bewusstsein darüber, wie weit verbreitet psychische Erkrankungen sind und, dass sie nicht selbst verschuldet sind. Es kann jede*n treffen. Doch Aufklärung allein reicht nicht. Ein wichtiger Punkt sind auch gesamtgesellschaftliche Maßnahmen, wie zum Beispiel die Förderung von interaktivem Kontakt zu Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie deren Integration.
Sprache formt Realität. Auf gesellschaftlicher Ebene tragen insbesondere abwertende, unreflektierte oder falsche Äußerungen zu einem herabwürdigenden Umgang mit Menschen mit psychischen Belastungen bei. Wie schon erwähnt, wird hier vor allem den Massenmedien eine große Verantwortung zugeschrieben. Doch sie können nicht nur negativ, sondern auch positiv beeinflussen. Die soziale Lerntheorie sagt, dass Protagonist*innen in Medien eine gewisse Vorbildfunktion haben und dass Rezipient*innen alleine durch das Beobachten ihrer Handlungen lernen können, welche Handlungsweisen in welchen Situationen als Norm betrachtet werden. Demnach ist es wichtig, dass Medien und ihre Macher*innen sich ihrer Macht und ihrer Verantwortung hier bewusst sind und Programme dementsprechend gestalten.
Auch auf psychotherapeutischer Ebene ist es möglich, der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegen zu wirken. Hierbei geht es vor allem um das Aufbrechen der Internalisierung des öffentlichen Stigmas und somit darum, die Selbststigmatisierung zu vermindern oder sogar ganz zu verhindern.
Auch Selfapy setzt sich für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ein und dafür, die Berührungsängste mit Menschen mit psychischen Belastungen zu verringern.
Quellenangaben
- Aktionsbündnis Seelische Gesundheit (o.J.). Antistigma-Maßnahmen. Online verfügbar unter https://www.seelischegesundheit.net/themen/psychische-erkrankungen/stigmatisierung/antistigma-massnahmen [08.02.21].
- Aydin, N., & Fritsch, K. (2015). Stigma und Stigmatisierung von psychischen Krankheiten. Psychotherapeut, 60(3), 245-257.
- Bundesärztekammer (2006). Aktive Bekämpfung der Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Online verfügbar unter https://www.bundesaerztekammer.de/aerztetag/beschlussprotokolle-ab-1996/109-daet-2006/punkt-ii/stigmatisierung/stigmatisierung-i/ [08.02.21].
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (o.J.). Für Akzeptanz - gegen Ausgrenzung. Online verfügar unter https://www.dgppn.de/schwerpunkte/stigma.html [08.02.21].
- Gaebel, Wolfgang (2004). Psychisch Kranke: Stigma erschwert Behandlung und Integration. Online verfügbar unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/44732/Psychisch-Kranke-Stigma-erschwert-Behandlung-und-Integration [08.02.21].
- Neurologen und Psychiater im Netz (2017). Das Stigma psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft. Online verfügbar unter https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/news-archiv/meldungen/article/das-stigma-psychischer-erkrankungen-in-der-gesellschaft [08.02.21].